Wenn Mitarbeitende ihren Führungskräften Feedback geben

Interview mit Petra Basler über die Herausforderungen im Umgang mit der Hierarchie beim Feedback

Seit mehr als 20 Jahren ist Petra Basler als Professional Certified Coach der International Coach Federation tätig. In dieser Zeit hat sie im Einzel- und auch im Teamcoaching für die Bereiche Führung, Veränderungsmanagement, Resilienz und persönliche Entwicklung häufig erlebt, dass in manchen Fällen zwar ein Feedback nötig wäre, dieses jedoch nicht oder nicht ausreichend gegeben wird. Oftmals trauen sich Feedbackgeber*innen nicht, weil er oder sie befangen ist und nicht anecken will. Welche Möglichkeiten es aus ihrer Erfahrung gibt, das Problem zu lösen, darum geht es in diesem Interview.

Stellen Sie sich eine Situation vor, in der ein Mitarbeitender seinen Chef zwar eigentlich gern mag, aber immer wieder dessen Fehler ausbaden muss – aber anstatt sachlich und konstruktiv darauf hinzuweisen, schluckt er den Ärger immer wieder herunter, ohne dass der Chef davon etwas ahnt. Am Ende kann es dazu kommen, dass der Mitarbeitende explodiert, was der Chef überhaupt nicht nachvollziehen kann, so dass beide ab diesem Zeitpunkt nur noch toxisch aufeinander reagieren.

Damit eine solche Situation erst gar nicht entsteht, braucht es die Fähigkeit und auch den Mut, konstruktives Feedback zu geben. Das fällt jedoch nicht immer leicht. Die Gründe können ganz unterschiedlich sein: Man möchte dem Chef nicht zu nahe treten, die vielleicht unsichtbare Hierarchiegrenze nicht überschreiten, niemanden verletzen, man befürchtet eine schlechte Stimmung oder gar berufliche Nachteile für ein ehrliches Feedback. Woher kommt das und was können wir dagegen tun? Das fragen wir jetzt Petra Basler:

Liebe Petra, Du kennst die Situation ja aus Deiner beruflichen Praxis als Coach: Wie schwer oder leicht fällt es Mitarbeitenden, ihren Vorgesetzen ein Feedback zu geben?

Das ist unterschiedlich und hängt davon ab, wie es um die Feedbackkultur allgemein steht und natürlich auch, was für ein Typ Mensch ich bin. Beim Thema Feedback und Emotionen erlebe ich jedenfalls häufig, dass viele mit einem „Ich weiß nicht recht, ich traue mich nicht“ oder auch bei Chef*innen „da bin ich lieber still“ reagieren. Das liegt ganz oft daran, dass es eine Angst davor gibt, der zwischenmenschlichen Beziehung zu schaden. Feedback fällt leicht, wenn es etwas Positives zu sagen gibt, aber wenn es darum geht, einen Missstand zu kritisieren oder eine Änderung anzuregen, schrecken viele davor zurück.

Was ist denn die Ursache für dieses Sich-nicht-trauen?

In der Regel liegt es an unserem Grundbedürfnis, geliebt zu werden, dazuzugehören, soziale Anerkennung zu bekommen. Niemand möchte sich unbeliebt machen. Und dieses Gefühl, dieses Bedürfnis ist stärker und wirkungsmächtiger als unser Denken. Hinzu kommt, dass sich auf der Gefühlsebene viel in Glaubenssätzen niederschlägt. Wenn wir uns vorstellen, was als Konsequenz durch ein Feedback passiert könnte, neigen wir zu vorgefertigten Annahmen und Glaubenssätzen, die uns hinderlich im Weg stehen. Und das führt dazu, dass wir lieber still bleiben als Ärger zu riskieren.

Welche Folgen kann das nach sich ziehen?

Wenn eine Situation kritisch ist, gewinnt unser Grundbedürfnis nach Beliebtsein die Oberhand – wir neigen dazu, dem Ärger aus dem Weg zu gehen. Das Hierarchiegefälle verstärkt dieses Bedürfnis häufig noch. Feedback bedeutet für viele ein Risiko, eine Gefahr, die wir bewusst oder unbewusst meiden. Das führt aber zu einer ganz anderen Gefahr, nämlich dass sehr viel Ärger oder andere negative Emotionen heruntergeschluckt werden. Zunächst passiert nicht viel, der Ärger bleibt klein. Falls das jedoch häufiger passiert, wird der Ärger größer – und mit der Zeit brodelt der Ärger in uns so stark, dass wie bei einem Kochtopf irgendwann der Deckel wegfliegt und alles überkocht.

Wie ließe sich das Problem denn lösen, bevor der Ärger uns zum Überkochen bringt?

Aus meiner Erfahrung braucht es dafür zwei Schritte: Schritt eins wäre, sich die eigenen Glaubenssätze bewusst machen, also zum Beispiel den Glaubenssatz „Mein Chef hat mich sowieso schon im Visier“ oder „Meine Chefin nimmt doch von niemanden Kritik an“. Schritt zwei wäre, kritisch zu hinterfragen, ob diese Glaubenssätze denn überhaupt stimmen. Vielleicht ist mein Eindruck zu subjektiv und vielleicht sollte ich mir in Erinnerung rufen, dass der Chef oder die Chefin neulich im Meeting unerwartet offen reagiert hat.

Letztlich geht es darum, das eigene Denken zu untersuchen und Raum zu schaffen für eine neue, eine veränderte Denkhaltung. Das ist ein wenig wie mit dem Aufräumen im Kleiderschrank:

 

„Wir sollten lernen, alte Gedanken vom Kleiderbügel zu nehmen und wegzubringen, um an diesem Kleiderbügel neue Gedanken aufhängen zu können.“

 

Wichtig ist auch, Feedback als Chance zu begreifen für gemeinsames Wachstum und gemeinsame Weiterentwicklung.

Wie lässt sich ein gutes Feedback erreichen?

Zunächst einmal ist die Grundvoraussetzung, dass Feedback nicht spontan „rausgehauen“ wird, sondern dass man sich die Erlaubnis holt, ein Feedback zu geben. Vielleicht ist aus Sicht des Feedback-Empfängers der Zeitpunkt gerade ungünstig, weil er oder sie gleich ein Meeting hat. Vielleicht hat er oder sie gerade kein offenes Ohr, weil ein anderer Sachverhalt dringlich zu klären ist. Daher ist es immer besser, nach Erlaubnis zu fragen und das Feedback vielleicht zu einem späteren Zeitpunkt zu geben, wenn es dem Gegenüber besser passt.

Für das Feedback-Gespräch selbst ist das A und O, eine wertschätzende Haltung einzunehmen und das Gespräch auf Augenhöhe zu führen. Ebenso wichtig ist, dass ein Feedback getrennt von der Person und allein im Hinblick auf die Sache erfolgen sollte. Wenn eine falsche Entscheidung getroffen wurde, sollte dies nicht der Person angelastet werden, sondern eher die Frage im Raum stehen, wie sich das Problem für die Zukunft besser lösen ließe. Um die Person außen vor zu lassen, empfiehlt sich klar zu formulieren, was man im Hinblick auf die Sachlage gehört oder gesehen hat. Hier helfen dann auch bewährte Methoden wie die Minimax-Interventionen mit der VW-Regel oder, noch besser, die 3W-Methode.

Wie sehen diese Methoden denn aus?

Bei der VW-Regel geht es darum, keine Vorwürfe auszusprechen, sondern Wünsche. Also statt dem Chef den Vorwurf zu machen: „Du lässt mich nie ausreden“, besser den Wunsch formulieren „Ich würde mir wünschen, dass ich mein Argument vollständig vortragen kann, bevor wir es gemeinsam diskutieren“. Bei der VW-Regel fühlt sich der andere nicht durch einen Vorwurf angegriffen, sondern ihm oder ihr wird ein Wunsch mit einem Lösungsvorschlag mitgeteilt, das entspannt die Situation schon einmal.

Die 3W-Methode ist vom Prinzip her vergleichbar, aber anders strukturiert, nämlich in der Reihenfolge Wahrnehmung, Wirkung, Wunsch. In Schritt 1 äußert man faktenorientiert und ohne die Aussage zu interpretieren etwas über die eigene Wahrnehmung wie zum Beispiel „Mir ist aufgefallen, dass Du an den letzten wöchentlichen Jour Fixes nicht teilgenommen hast“. In Schritt 2 kommt etwas über die Wirkung wie zum Beispiel: „Du hast immer die aktuellen Zahlen parat und gute Vorschläge, daher finde ich es schade, wenn von Dir aktuell keine Beiträge kommen“. Und in Schritt 3 folgt dann der Wunsch: „Ich würde mir wünschen, wenn Du in Zukunft wieder regelmäßig dabei sein könntest“. Wichtig ist, den Wunsch oder die Erwartung klar und deutlich zu formulieren und gleichzeitig auch nachzufragen, ob das Gegenüber verstanden hat, was gesagt wurde.

Gibt es einen Tipp für Feedback-Empfänger?

Von ihnen wäre zu wünschen, dass sie das Feedback, das sie bekommen, unvoreingenommen überdenken. Wichtig wäre, eine innerlich offene Haltung einzunehmen und ein Feedback nicht sofort in die Schublade böser Inhalte zu stecken, sondern zu überlegen, ob das nicht in die Schublade guter Dinge passt.

Ein bedeutsamer Punkt ist auch der Blick auf vergangene Gespräche, die nicht gut gelaufen sind: Hier wäre es gut, zwischen Absicht und Wirkung zu unterscheiden und anzuerkennen, dass ein Feedback vielleicht gut gemeint war, aber nicht gut vorgebracht worden ist. Wenn wir lernen, das Gegenüber als Mensch mit Stärken und Schwächen zu akzeptieren und auf emotional gute Weise miteinander umzugehen, sind auch für vergangene Verletzungen wieder „heilende Momente“ möglich.

Energie durch Entwicklung - Petra Basler Portrait

Als Professional Certified Coach der International Coach Federation und Ex-Bankerin hat sie in 30 Jahren umfangreiche Berufserfahrungen gesammelt, die heute das Fundament ihrer Coachingarbeit bilden. Seit 2001 ist sie als Coach und Beraterin auf die Bereiche Führung, Veränderungsmanagement und persönliche Entwicklung spezialisiert. Als Expertin sowohl für Einzel- als auch für Teamcoaching hat Petra Basler mehrere Jahre das Vorstandsteam des ICF Coachingverbandes begleitet.

Das Interview wurde geführt durch:

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