Die Corona Pandemie hält die Welt weiterhin fest im Griff. Während des Lockdowns im Frühjahr 2020 waren alleine in Deutschland über 18 Millionen Menschen im Home-Office, bei 45 Millionen Beschäftigten also fast die Hälfte der Bevölkerung. Viele Unternehmen, bei denen bis dato Home-Office keine Option war, haben positive Erfahrungen gemacht, viele Mitarbeiter*Innen haben festgestellt, dass die Arbeit aus dem Home-Office deutlich besser funktioniert als gedacht. Das hat die Bundesregierung dazu motiviert, das Recht auf Home-Office auch gesetzlich zuzusichern. Die positive Entscheidung ist für den Herbst 2020 zu erwarten.
Was wir also seit März erleben sind teils völlig verwaiste Büros. Viele Unternehmen denken darüber nach, Büroflächen abzumieten und haben dies sogar schon getan. Selbst wenn Mitarbeiter*Innen nur noch 1-3 Tage pro Woche ins Büro kommen, sehen viele Unternehmen aus betriebswirtschaftlicher Sicht keinen Sinn mehr darin, einen Schreibtisch pro Mitarbeiter vorzuhalten. Schnell ist der Bleistift gezückt und Einsparpotenzial erkannt. Aber halt! Ist das nicht zu kurz gedacht? Müssen wir nicht viel mehr die Frage stellen, welche Art von Arbeit welche Art von Arbeitsort braucht?
Sicherlich hat sich der Sinn des Büros als Arbeitsort durch Corona deutlich verschoben. Es ist aber gefährlich, sich hier nach einfachen Lösungen zu sehnen, denn es sollten sowohl unternehmenskulturelle, arbeitsorganisatorische, psychologische, arbeitssicherheitstechnische/gesundheitliche und betriebswirtschaftliche Faktoren gemeinsam betrachtet werden. Auf die Notwendigkeit der arbeits- und datenschutztechnischen Rahmenbedingungen gehe ich an dieser Stelle nicht weiter ein und verweise auf den Artikel von Rechtsanwältin Inka-Müller Seubert in unserem Magazin. Doch welche Fragen sollten sich Unternehmen hierzu jeweils stellen? Im Folgenden eine beispielhafte und keinesfalls vollständige Übersicht:
Unternehmenskultur:
- Die Gestaltung des Raums hat einen großen Einfluss auf die Unternehmenskultur, da sie eine starke Wirkung auf die Atmosphäre hat. Wie kann dieser Faktor bei räumlich verteilten Teams substituiert werden?
- Wie können Mitarbeiter*Innen auch im Home-Office die Unternehmenskultur erleben, insbesondere auch wenn sie neu und noch im Onboarding sind?
- Welche (stärkere) Rolle sollen Führungskräfte in Bezug auf die positive Erlebbarkeit von Unternehmenskultur übernehmen und wie können Sie dazu befähigt werden? (Dieser Faktor ist unabhängig vom Home-Office hochrelevant, bekommt nun aber eine hohe Dringlichkeit)
Arbeitsorganisation
- Für welche Art von Aufgaben braucht es welche räumlichen Gegebenheiten? Wann braucht es ein Büro in welcher Form? Wann ist das Home-Office der geeignete Ort? Wann braucht es vielleicht auch eine Alternative zu Home-Office und Büro?
- Wie kann die Arbeit in räumlich verteilten Teams mit wenig oder keinen persönlichen Berührungspunkten organisiert werden?
- Wie wird mit Arbeitszeiten umgegangen? Die Erfahrung zeigt, dass die meisten Mitarbeiter dazu neigen eher mehr als weniger im Home-Office zu arbeiten.
- Wie werden gegenseitige Erwartungen bzgl. Reaktionszeiten und Erreichbarkeit gemanagt?
- Wie wird bei sogenannten Desk-Sharing Modellen sichergestellt, dass immer die richtige Anzahl Mitarbeiter*Innen vor Ort ist und keiner ohne Schreibtisch bleibt?
Psychologie
- Wie wird das Teamgefühl aufrechterhalten und kultiviert?
- Wie wird Mitarbeiter*Innen auch im Desk-Sharing Modell das Gefühl von „Heimat“ im Büro vermittelt, wenn die persönliche Einrichtung eines Arbeitsplatzes mit persönlichen Dingen nicht mehr möglich ist?
Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz
- Wie kann bzgl. des Infektionsschutzes sichergestellt werden, dass das Risiko einer Ansteckung mit Covid-19 (und anderen ansteckenden Krankheiten wie z.B. Grippe) minimiert wird? Stichwort Klimaanlage und Luftreinheit
- Möglichkeit zur Haltung von Abstand
- Reinigung und Desinfektion von Arbeitsflächen, sowohl an Schreibtischen (insbesondere bei Desk-Sharing) aber auch in Gemeinschaftsräumen wie Meeting-Räumen, Küchen etc.
Betriebswirtschaftliche Überlegungen
- Wie können die Kosten für Büroflächen minimiert werden?
- Wie kann die Auslastung von Flächen optimiert werden?
Darüber hinaus müssen die individuellen Faktoren seitens der Mitarbeiter*Innen berücksichtigt werden, denn nicht jeder hat die gleichen technischen und räumlichen Voraussetzungen in seinem Home-Office. Diese reichen von WG-Zimmer, über Appartement, kleine enge Wohnung bis zur großen Wohnung oder gar dem Haus mit eigenem Arbeitszimmer. Viele Menschen leben alleine, andere mit Familie, kleinen Kindern und Haustieren. Vielleicht müssen auch Angehörige gepflegt oder versorgt werden, was die Arbeit aus dem Home-Office vielleicht erschwert. Es geht nicht darum, es jedem recht zu machen, das ist nicht möglich. Es geht aber darum, eine bestmögliche und vor allem zukunftsfähige Lösung zu finden, die verschiedene Möglichkeiten bietet. Denn eins ist klar, die EINE Lösung wird es nicht mehr geben.
Die Überlegungen rund um das Thema Büro führen Unternehmen also automatisch in die Ambidextrie. Unternehmen müssen sich im Hinblick auf das Büro immer wieder kritisch die Frage stellen, welche Aufgabe das Büro heute und in Zukunft als gemeinsamer Ort haben soll. Welchen Sinn und Mehrwert soll das Büro als Arbeitsort den Mitarbeiter*Innen und dem Unternehmen stiften? Die meisten Unternehmen haben sich diese Frage bisher in dieser Form nicht gestellt und werden nun zum ersten Mal damit konfrontiert. Die Erkenntnisse, die aus diesem Reflexions-Prozess gewonnen werden, sind spannend und oft überraschend.
So wie wir vor zwanzig Jahren eine Bewegung weg vom Ein- oder Zweizellenbüro hin zum Open Space Büro erlebt haben, werden wir in den nächsten Monaten und Jahren eine Bewegung hin zum Multispace-Büro erleben, d.h. eine Bürofläche die die verschiedensten Arbeitsmöglichkeiten bietet. Gleichzeitig werden wir neue Formen von Co-Working Flächen kennenlernen, die deutlich individueller auf die Bedürfnisse der einzelnen Nutzer eingehen werden. So werden neben den Optionen Büro und Home-Office weitere Arbeitsorte entstehen, die gleichzeitig im Sinne einer Community auch Netzwerk, Austausch und gemeinsames Lernen ermöglichen.
Eins ist klar, gemeinsam im Unternehmen über die Zukunft der eigenen Arbeit und des Arbeitsortes nachzudenken und diese zu gestalten ist nicht nur in Krisenzeiten ein gewinnbringender, wertvoller und energiestiftender Prozess.