Angst – größter Hemmschuh für Veränderung

Jeder, der schon einmal mit Veränderungsprozessen in Berührung gekommen ist, weiß, dass man an irgendeiner Stelle Widerstände oder gar Angst entwickelt, die dazu führen, dass der Entwicklungsprozess nicht weitergehen kann.

SIND WIDERSTAND UND ANGST NUR PSYCHISCH?

Veränderungen bringen neue, unvorhergesehene und unbekannte Situationen mit sich, die in unterschiedlicher Form und Ausprägung Verunsicherung auslösen können. Die aktuelle Gehirnforschung, z. B. von Prof. Dr. Gerald Hüther zeigt, dass in Zeiten von großer Verunsicherung unser Gehirn in eine Form von Übererregung gerät. Vor allem im Bereich der präfrontalen Hirnrinde kommt es bei großer Verunsicherung zu neuronaler Überreaktion, das Gehirn weiß dann nicht mehr weiter und kann keine Handlungsleitenden, das Denken bestimmenden Aktivitätsmuster mehr aufbauen. Was passiert? Wir fallen in alte Verhaltensmuster zurück, die entweder Kindheits- oder Gewohnheitsmuster sind (diese sind schon längere Zeit in uns und daher stabiler in uns verankert). Wir finden verschiedene Bewältigungsstrategien, um mit der primären Angst umzugehen, welche die Gefahr von Abhängigkeiten bürgen, wir werden also süchtig nach diese Bewältigungskompensation. Dies kann einerseits Macht als Gegenmittel von Ohnmacht sein, zum Beispiel eine Führungskraft im mittleren Management, die sich auf Grund von strategischen Entscheidungen der Geschäftsführung plötzlich völlig verunsichert fühlt, entwickelt seinen Mitarbeitern gegenüber starke Machtgebärden, die ihm anfänglich das Gefühl von Zufriedenheit und Sicherheit geben.

Je mehr diese Bewältigungsstrategie genutzt wird, desto stärker bürgt sie die Gefahr zur Sucht zu werden, in unserem Beispiel bis hin zu Geltungssucht, Streitsucht und Tobsucht führen, ein neuer Choleriker ist geboren, was Missgunst, Neid, Wut und Hass als Folge haben kann.

Wenn es ganz schlimm kommt, fallen wir sogar in archaische Notfallmuster, die dann von unserem Hirnstamm gesteuert werden. Der Hirnstamm ist für unsere ursprünglichsten Instinkte zuständig und reagiert 200 Mal schneller als unser kognitives Denken. Der Hirnstamm kennt nur 3 Reaktionen kennen: Angriff, Flucht oder ohnmächtige Erstarrung. Die problematischen Auswirkungen dieser archaischen Notfallmuster im Change Management haben wir sicherlich alle schon einmal erleben müssen. Natürlich sind wir im Change nicht immer mit solch massiven Formen von Angst konfrontiert, oft aber mit Widerständen.

ERSCHEINUNGSFORMEN UND AUSPRÄGUNGEN VON WIDERSTAND

Widerstand tritt im Change- und Projektmanagement in den unterschiedlichsten Erscheinungsformen auf. In den meisten Fällen handelt es sich um verdeckten Widerstand der oft selbst den Widerstand ausübenden Personen nicht bewusst ist. Diese Tatsache macht es in der Praxis schwierig den Widerstand zu bearbeiten, da zunächst erst einmal das Bewusstsein dafür geschaffen werden muss. Dies ist um so schwieriger, da sich in diesem Zusammenhang eine Konfrontation mit den Widerstand ausübenden Personen meist nicht vermeiden lässt. Vor dieser Konfrontation scheuen sich viele Führungskräfte und Change Manager.

VERDECKTER WIDERSTAND

Wesentlich schwieriger ist der Umgang mit verdecktem oder latentem Widerstand. In diesem Zusammenhang haben die Widerstand ausübenden Personen üblicherweise kein Interesse daran, erkannt zu werden. Aus persönlichen oder taktischen Gründen agieren sie aus dem Verborgenen heraus. Ihre Interessen sind meist destruktiver Natur, das heißt, sie wollen etwas verhindern, ohne als die Verursacher erkannt zu werden. In vielen Fällen ist es paradoxerweise den Widerstand leistenden Personen noch nicht einmal bewusst, dass sie Widerstand leisten. Dadurch wird der Umgang mit dieser Form des Widerstandes zusätzlich erschwert. Wird der verdeckte Widerstand nicht rechtzeitig erkannt, entstehen leicht tickende Zeitbomben, die sich in ihrer Zerstörungskraft mit der Zeit immer weiter aufladen und Veränderungsprozesse, wie auch Projekte scheitern lassen können.

SYMPTOME UND AUSPRÄGUNGEN DES VERDECKTEN WIDERSTANDS ZEIGEN SICH IN VIELFACHEN AUSPRÄGUNGEN:

  • Lustlosigkeit bei der Arbeit
  • sich häufende Abwesenheit, die nicht konkret nachvollziehbar ist oder aus vorgeschobenen Gründen bis hin zu steigender Krankheitsquote
  • sich unwissender stellen als man ist
  • sich häufende Fragen zu unwichtigen Themen
  • wiederholtes infrage stellen bereits getroffener Entscheidungen
  • Ausweichen auf konkrete Aufforderungen etwas zu tun oder zu lassen
  • zunehmende Rückdelegation bereits angenommener Aufgaben
  • das Aussitzen von Problemen
  • hektischer Aktionismus in unwesentlichen Bereichen
  • das Einfordern von maximaler Einbeziehung von unwesentlichen Stakeholdern
  • das Schweigen an Stellen, an denen Kommunikation angesagt wäre
  • das Fernbleiben von wichtigen Zusammentreffen bzw. das Entsenden nicht entscheidungsbefugter Vertreter
  • die Forderung nach perfekten Lösungen
  • die Forderung, dass andere sich zuerst bewegen
  • die ausgiebige Betrachtung und Diskussion von Sonderfällen
  • das grundsätzliche Zustimmen bei gleichzeitiger Anmeldung von Vorbehalten, die später geklärt werden sollen

Eindeutig zu diagnostizieren sind verdeckter oder latenter Widerstand nur in besonders ausgeprägten Fällen, da einzelne Symptome durchaus auch andere Ursachen haben können.

OFFENER WIDERSTAND

Offener Widerstand zeichnet sich dadurch aus, dass er eine bewusste Handlung ist und die den Widerstand ausübenden Personen mit diesem Widerstand auch ein Ziel verbinden. Sie legen es ganz bewusst darauf an, dass ihr Widerstand als solcher wahrgenommen und ihnen auch zugeordnet werden kann. Sie tun dies meist aus einer Position, in der sie sich relativ machtvoll und überlegen fühlen. Dieser offene Widerstand hat deshalb den Vorteil, dass er Gegenstand von Verhandlungen und Bearbeitung sein kann, die Karten liegen gewissermaßen auf dem Tisch.

FORMEN VON OFFENEM WIDERSTAND:

  • Offener Widerspruch
  • Offene Kritik und/oder Beschwerden
  • Konkrete Aktivitäten, die sich gegen das geplante Vorhaben richten.

Üblicherweise liegen diesem offenen Widerstand rationale Ursachen zugrunde, die sich mit den Betroffenen besprechen lassen und an deren Überwindung alle Beteiligten ein Interesse haben. Diese Form des Widerstandes ist meist konstruktiv, sodass der Umgang mit offenem Widerstand möglich ist. Dadurch kann die Energie, die die Widerstand leistenden Personen in ihren Widerstand investiert haben, im Sinne der Zielerreichung kanalisiert werden, oder vereinfacht ausgedrückt: Der Gegenwind wird zu Rückenwind.

DIE PERSÖNLICHKEIT UND PERSÖNLICHE GESCHICHTE SIND RELEVANTE FAKTOREN

Die Reaktion auf Veränderungen und die Ausprägung von Widerstand sind sehr individuell und hängen von der Persönlichkeitsstruktur, der Sozialisation und der persönlichen Geschichte der Betroffenen ab. Die eine Person kann sich in einer Situation an erfolgreiche Projekte aus der Vergangenheit erinnern, und dementsprechend positiv auf Veränderungen reagieren. Eine andere Person kann durch Veränderungsprozesse an entsprechende negative Erfahrungen erinnert werden und in den Widerstand gehen. Da es im Rahmen der Führung üblicherweise nicht möglich ist, sich gründlich mit der vollständigen Vorgeschichte und Sozialisation aller Beteiligten auseinander zu setzen, können also Widerstände persönlicher Natur auch überraschend auftreten. Häufigste Ursache ist in diesem Zusammenhang Angst, auch wenn diese in vielen Fällen von den Betroffenen verdrängt wird und deshalb oft sogar nicht bewusst ist:

  • Angst vor Kompetenzverlust
  • Angst vor Statusverlust
  • Angst vor mehr Kontrolle
  • Angst vor Transparenz
  • Angst vor Arbeitsplatzverlust
  • Angst davor, Neues lernen zu müssen (not invented here)


Neben diesen Ängsten können aber auch weitere persönliche und sehr subjektiv empfundene Aspekte Ursache von Widerstand sein:

  • Wissenslücken
  • Empfundene Unmündigkeitserklärung
  • Eigeninteressen
  • Soziale Situation am Arbeitsplatz
  • Subjektiv empfundener Zielkonflikt / Prioritäten-Konflikt
  • Persönliche Historie
  • Ignoranz
  • Sicherheitsbedürfnis
  • Empfundene Kritik am bisherigen Vorgehen
  • Bedürfnis nach Zugehörigkeit
  • Bedürfnis nach Macht / Status
  • Rache

3 STRATEGIEN UM MIT VERUNSICHERUNG UMZUGEHEN

Prof. Dr. Gerald Hüther beschreibt drei Strategien, um mit Verunsicherung als Grund für Widerstand und Angst umzugehen:

1. Vertrauen in sich selbst
Vertrauen in die eigenen Kompetenzen und Fähigkeiten zu haben, stärkt die Standhaftigkeit und Resilienz.

Beispiele, wie dieses Vertrauen gestärkt werden kann:

  • Durch Maßnahmen zur persönlichen Entwicklung, wie zum Beispiel Coaching, können Sie das Selbstvertrauen steigern
  • Gutes Feedback hilft, die eigenen Stärken zu erkennen und weiter auszubauen

2. Vertrauen in andere

Vertrauen darauf, dass es andere Menschen gibt, die einem helfen können, z. B. Vorgesetzte oder Kollegen.

Beispiele, wie dieses Vertrauen gestärkt werden kann:

  • Durch Authentizität der Führung
  • Glaubwürdigkeit der Führung, in dem Wort gehalten und Versprechungen eingehalten werden, die gemacht wurden (nichts versprechen, was nicht auch gehalten werden kann)
  • Wenn die Führung/Kollegen Zuverlässigkeit zeigen und unter Beweis stellen
  • Wenn Führungskräfte/Kollegen ansprechbar sind für Fragen, Sorgen, Ängste und diese ernst nehmen
 

3. Vertrauen in den Sinn der Veränderung

Der Sinn eines Veränderungsvorhabens muss klar erkennbar sein, wenn der Zweck und Grund für die Veränderung verständlich und nachvollziehbar sind, dann kann sich auch der Mensch leichter auf die Veränderung einlassen.

Beispiele, wie dieses Vertrauen gestärkt werden kann:

  • Transparenz schaffen, Widerstand kann nur bearbeitet werden, wenn alle Beteiligten wissen, worum es geht.
  • Qualitativ gute und quantitativ ausreichende Kommunikation über das Vorhaben, den Sinn und Zweck, das Ziel und die Vorgehensweise
  • Veränderungen erlebbar machen, positive Erlebnisse verankern
  • Betroffene in die Veränderung aktiv einbinden
  • Storytelling – Bilder sagen oft mehr als Worte

WEITERGEHENDE EMPFEHLUNGEN ZUM UMGANG MIT WIDERSTÄNDEN

Über die bereits genannten Beispiele und Vorschläge zum Umgang mit Widerstand haben sich in der Praxis auch folgende Tipps bewährt:

  • Halten Sie aktiv Kontakt zu allen relevanten Stakeholdern und pflegen Sie diese Beziehungen sorgfältig, sie sind die Grundlage für die Überwindung von Widerständen.
  • Wechseln Sie die Sichtweisen und Perspektiven auf Widerstände und fordern Sie dies auch aktiv von allen Beteiligten ein, das fördert das Verständnis und bringt meist auch hilfreiche Erkenntnisse mit sich
  • Zeigen Sie die Konsequenzen des Widerstandes auf: Was wird nicht mehr möglich sein, wenn der Widerstand aufrechterhalten wird?
  • Intervenieren Sie paradox, nutzen Sie den damit verbundenen Überraschungseffekt.
  • Betreiben Sie intern aktives Marketing für das Veränderungsvorhaben
  • Erkennen Sie Ängste, versuchen Sie diese frühzeitig abzubauen.

VORBEUGENDE MASSNAHMEN

Die eleganteste Form im Umgang mit Widerstand ist es, ihn gar nicht erst aufkommen zu lassen. Hierzu bieten sich verschiedene vorbeugende Maßnahmen an, die vor allem im Umfeld von umfassenden Veränderungsprozessen in Organisationen beachtet werden sollten.


Neuerungen werden besser aufgenommen, wenn:

  • Persönliche Vorteile erkennbar: Die Erkennbarkeit von Vorteilen, vor allem auf der persönlichen Ebene (was habe ich eigentlich davon?), erleichtert es eventuell bestehende Ängste oder Unsicherheiten abzubauen.
  • Neues leicht anpassbar an vorhandene Systeme: Der berühmte „Big Bang“ hat den Nachteil, der vollständigen Veränderung, d. h. konkret die Beteiligten müssen alles bisher Gewesene hinter sich lassen, was große Ängste mit sich bringt. Daher ist es von Vorteil, wenn die Perspektive aufgebaut wird, dass nur einzelne Aspekte verändert werden, die sich gut in die bisherige Umgebung anpassen lassen. Menschen lernen am besten, wenn sie 50 % neues Wissen mit 50 % vorhandenem Wissen verknüpfen können.
  • Einfachheit des Neuen: Wenn Neues einfach ist, fällt es den Beteiligten leichter, es zu akzeptieren, Ängste können abgebaut werden oder entstehen erst gar nicht.
  • Schrittweise Einführung – Möglichkeit des Ausprobierens: Die schrittweise Einführung von Neuerungen, verbunden mit der Möglichkeit des Ausprobierens, baut Ängste ab. Wenn die Möglichkeit besteht Verbesserungsvorschläge einzubringen, und diese auch umgesetzt werden, kann zusätzliche Sicherheit aufgebaut werden.
  • Nutzen ist höher als Kosten: Da die Nutzenorientierung ein starkes Argument ist, kann dieses flankierend angeführt werden. Es sollte allerdings beachtet werden, dass dadurch Ängste oft nicht abgebaut werden und auch keine zusätzliche Sicherheit entsteht.
  • Negative Folgen / Risiken sind begrenzt: Dieser Aspekt zielt ähnlich wie die anderen Aspekte auch darauf ab, Ängste zu minimieren.
  • Unzufriedenheit mit der bestehenden Situation nutzen: Nutzen Sie die Unzufriedenheit mit der aktuellen Situation, indem Sie aufzeigen, inwieweit Ihr Ansatz Verbesserungen der Situation ermöglicht. Dadurch schaffen Sie Sicherheit und eine Sogwirkung.
  • Formulieren Sie eine konkrete und attraktive Zielvorstellung: Dadurch gewinnen Sie Akzeptanz und können eine Sogwirkung und Begeisterung erzeugen. Flankierend sollten Sie darauf achten, Ängste zu erkennen und abzubauen.
  • Ermöglichen Sie Erfolgserlebnisse: Erfolgserlebnisse sind ein starker Motivator und beweisen gerade am Beginn von Projekten und Veränderungsprozessen die Richtigkeit des eingeschlagenen Weges. Auch wenn sie noch so klein sind, entfalten sie eine positive Sogwirkung. Deshalb sollten Sie bereits bei der Planung von Projekten und Veränderungsprozessen berücksichtigen, dass schon in der Frühphase Erfolgserlebnisse eingeplant und angemessen inszeniert werden.
  • Neues macht Spaß: Ermöglichen Sie freud- und lustvolle Erfahrungen im Zusammenhang mit der Einführung von Neuem. Probieren Sie neue, kreative Arbeitsmethoden aus, arbeiten Sie mit Bildern und gehen Sie spielerisch an Veränderungen heran. Oft sind wir sehr in der Ratio verhaftet, ein kreativer Zugang spricht andere Hirnareale an und kann so positive Verknüpfungen entstehen lassen und Spaß und Freude erzeugen.

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