Wirksamkeit als fachliche Führungskraft

In unserer heutigen Welt, in der technologische Entwicklungen und stärkere Vernetzung immer weiter voranschreiten, benötigen Unternehmen sehr schnelle und flexible Entscheidungswege. Zu bewältigen ist das bisher Unmögliche: Mehr an Komplexität bei weniger an Struktur und eine beschleunigte Reaktionsfähigkeit bei geringerer Planbarkeit. Wie die Quadratur des Kreises also! Was kann da schneller sein, als der von Hierarchie weitestgehend befreite, entscheidungsfreudige Mitarbeiter?

Deshalb ersetzen viele Unternehmen und Organisationen hierarchische Strukturen durch projektorientierte, agile Ansätze. In einem solchen Projekt wird abteilungs-, manchmal sogar organisationsübergreifend zusammengearbeitet.

Führungspositionen werden flexibel als „Rolle auf Zeit“ besetzt. Eine Person übernimmt Verantwortung auf Zeit für ein Projekt, für ein Team, für eine Idee. Die, die diese Verantwortung, egal ob freiwillig oder bestimmt, in einem Team übernehmen, sind auf die Zusammenarbeit mit den anderen Team-Mitgliedern angewiesen. Richtig herausfordernd wird es, wenn ein Teil der Mitwirkenden gar keine Angestellten mehr sind, sondern als Freiberufler oder Mitarbeitende aus anderen Unternehmen nicht oder nur teilweise in die organisationale Struktur eingebunden sind.

Diese Person führt, ohne die Machtquelle disziplinarische Weisungsbefugnis zu besitzen. Sie kann sich dabei nur auf die Machtquelle, die sich aus Expertentum und Informationskontrolle speist, stützen. Das bedeutet, dass diese Person von ihrer Expertise, ihrer Fähigkeit Netzwerke zu bilden sowie andere Menschen zu überzeugen und mit ins Boot zu holen, abhängig ist. Diese Art der Führung erfordert eine Persönlichkeit mit weitreichenden kommunikativen und sozialen Fähigkeiten.

Dafür benötigt sie ein Instrumentarium, mit dem sie auf Andere einwirken kann, ohne das Machtinstrument disziplinarische Weisungsbefugnis zu besitzen. Wie bei der hierarchischen Führung spielen aber auch hier die drei Einflussmechanismen eine große Rolle (s. Luhmann, Niklas 1964 S. 123ff., 1975 S. 74 ff. und 2002 S. 39):

  • Verständigung „Kommunikation ist die Grundvoraussetzung, hier werden zum Beispiel individuelle Auffassungen und Überzeugungen geklärt.“
  • Vertrauen „Es ist ein Vertrauensverhältnis herzustellen, indem gemeinsame Grundlagen herausgearbeitet werden.“
  • Macht „In Gruppen entwickelt sich ein unterschiedliches Machtverhalten; es kann durch Expertise, Sympathie, persönliche Ausstrahlung und gemeinsame Ziele entstehen.“

Was heißt das nun konkret für die Führungskraft in der Praxis?

Denken Sie in Projekten! Sie führen immer nur auf Zeit. Mitarbeitende, die heute in Ihrem Team sind, können morgen bereits in einem anderen Team arbeiten, vielleicht sogar als Ihre Führungskraft. Ein Team ist deshalb immer ein Team auf Zeit, das für ein klar umrissenes Projekt zusammenarbeitet. Nächsten Monat, nächstes Jahr, für den nächsten Kunden entstehen neue Teams. Definieren Sie konkret das Projekt und überlegen Sie, wer Teil Ihres Teams für dieses Projekt sein sollte.

Kommunizieren Sie die Ziele klar und stellen Sie vor allem sicher, dass diese allen Mitgliedern eines Teams bekannt sind. Investieren Sie deshalb zu Beginn eines Projekts genügend Zeit, um an einem gemeinsamen Bild vom Ziel zu arbeiten:
Wer hat welche Ziele? Passen die Ziele zueinander? Welche Vision teilen wir? Wo gibt es noch Unstimmigkeiten? Stehen alle hinter dem Ziel?
Es geht darum, individuelle Meinungen der einzelnen Teammitglieder in Einklang zu bringen und zu einem gemeinsamen Meinungsbild weiterzuentwickeln.

Nehmen Sie die Werte der Mitarbeitenden wahr, denn neben unterschiedlichen Zielen treffen immer auch unterschiedliche Werte-Systeme aufeinander, wodurch Konflikte entstehen. Werte beschreiben, was den einzelnen Beteiligten wichtig und wertvoll ist, was für sie die Mitarbeit im Team sinnvoll macht.
Klären Sie: Wer hat welche Interessen und Erwartungen? Welche individuellen Auffassungen, Überzeugungen, Arbeitsweisen treffen im Team aufeinander?

Klären Sie Rollen und Zuständigkeiten, denn anders als in einem Team, das bereits länger zusammenarbeitet, müssen in einem Projekt-Team Aufgaben und Zuständigkeiten, Rollen und Erwartungen klarer und genauer kommuniziert werden. Es existieren keine festen Job-Beschreibungen, aus denen sich Zuständigkeiten ergeben. Mitarbeitende können in unterschiedlichen Teams unterschiedliche Rollen einnehmen, haben unterschiedliche Erwartungen an die anderen Personen im Team und an die Führungskraft. Geben Sie Personen und Beziehungen Vorrang, bevor Sie inhaltliche und fachliche Aspekte klären.

Es gibt in einem Team möglicherweise unterschiedliche Erwartungen an die Kommunikation. Ein Team braucht Regeln und Strukturen für die Kommunikation: Wann und wie werden verwendete Kommunikationswerkzeuge (z.B. E-Mail, Messenger, Skype) eingesetzt? Welche Vereinbarungen zur Erreichbarkeit bis hin zur Kommunikationskultur im Umgang miteinander müssen getroffen werden?

Insbesondere wenn Personen mit unterschiedlichem fachlichem Hintergrund, unterschiedlichen Erfahrungen und unterschiedlichen Herangehensweisen zusammenarbeiten, ist es wichtig, gegenseitiges Verstehen sicherzustellen: Verstehe ich wirklich, was die andere Person meint? Stellen Sie immer wieder sicher, dass alle noch mit im Boot sind.

Ein Team lebt vom gegenseitigen Vertrauen. Nur wenn sich die Personen im Team aufeinander verlassen können, wird eine erfolgreiche Zusammenarbeit möglich sein. Das bezieht sich auf Regeln zur Kommunikation und Kooperation, die Sie gemeinsam erarbeiten können und im Team festlegen. Das bezieht sich auch auf auftretende Schwierigkeiten und Konflikte. Wie geht das Team damit um, wenn etwas nicht wie geplant funktioniert oder einzelne Mitglieder Fehler machen? Das gilt im Übrigen für jedes Team, für ein Team, in einem agilen Umfeld aber erst recht.

Ganz wichtig: Organisieren Sie den Wissensaustausch. Ein Team wird nur funktionieren, wenn es gelingt, Wissen erfolgreich auszutauschen und von den Erfahrungen aller Beteiligten zu profitieren. Gerade in Projekten auf Zeit gilt: Wissen ist Macht. Einzelne Teammitglieder haben möglicherweise kein Interesse daran, ihr Wissen mit anderen zu teilen und der Organisation zur Verfügung zu stellen. Außerdem fällt in (virtuellen) Teams mit vielen Teilzeitkräften, Mitarbeitern im Ausland oder Freiberuflern oft der informelle, zufällige Austausch von Wissen (z.B. an der Kaffeemaschine) weg. Deshalb ist es besonders wichtig, vertrauensvolle, gute Beziehungen zu pflegen, formalisierte Prozesse für den Austausch von Wissen zu etablieren und Möglichkeiten für den Austausch zu schaffen.

Letztlich müssen Sie über die Zeit die Motivation im Team aufrecht halten. Als Führungskraft müssen Sie deshalb die unterschiedlichen, ggf. sogar widersprüchlichen Ziele, Bedürfnisse und Wünsche Ihrer Teammitglieder kennen und in geeigneter Weise darauf reagieren. Während vielleicht für eine Person die regelmäßigen Treffen mit den Kollegen zum Austausch aktueller Themen besonders wichtig und relevant sind, findet eine andere Person möglicherweise gerade die dafür investierte Zeit überflüssig. Nur wenn es gelingt, die Unterschiedlichkeit wahrzunehmen und zu adressieren, wird die Zusammenarbeit im Team für alle Beteiligten attraktiv sein.

Fazit:

Statt, wie die klassische Führungskraft, Ziele vorzugeben, Arbeitsprozesse zu strukturieren, Aufgaben zu delegieren, und deren Erledigung zu überwachen, muss die Führungskraft, um im agilen, weitestgehend hierarchiefreien Umfeld erfolgreich zu sein, die unterschiedlichen Interessen und Ziele aller Beteiligten wahrnehmen und integrieren, und dabei auch noch sicherstellen, dass übergeordnete Organisationsziele verwirklicht werden. Dies stellt besonders hohe Anforderungen an die Expertise sowie die kommunikativen und sozialen Kompetenzen dieser Führungskräfte. Darum ist es wichtiger denn je, hier in personenzentrierte, individualisierte Personalentwicklung zu investieren, damit Agilität und weitgehende Hierarchiefreiheit nicht zur Kopflosigkeit mutiert.

Experte für schwierige Balanceakte und Lösungen in den Bereichen Führung und Leadership

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  • Coaching-Ausbildung und Zertifizierung nach ICA

 

Peter Schreuder

Peter Schreuder

Peter Schreuder ist Experte für schwierige Balanceakte & Lösungen in den Bereichen Führung und Leadership. Er ist der Überzeugung, dass Personal- und Organisationsentwicklung zusammen betrachtet werden müssen, damit nachhaltige Veränderungen stattfinden können. Seine positive Grundhaltung und Leistungsorientierung ohne Verbissenheit erleichtert es zügig, kreative, pragmatische und effiziente Lösungen zu entwickeln.
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