Unser aktuelles Lern- und Führungsverständnis kommt aus dem Preußen des 19. Jahrhunderts, aus einer Welt und Zeit, in der es um Gehorsam und Ordnung ging. Belohnung und Bestrafung waren die adäquaten Mittel, um Schüler oder Angestellte zu einem gewünschten Verhalten zu bewegen. Viele Führungs- und HR-Instrumente funktionieren noch heute so: gute Leistung wird belohnt, z.B. durch Bonuszahlungen.
Der Anspruch, fehler- und makellos zu sein, ist bis heute in unserer Gesellschaft sehr dominant. Das fängt schon in der Schule an. Fehler sind „schlecht“ und werden bestraft, Fehlerlosigkeit wird belohnt. Das zieht sich dann weiter in unser Berufsleben. Die Angst, Fehler zu machen und dafür bestraft, z.B. abgemahnt oder entlassen zu werden, ist in vielen Unternehmen spürbar.
Die Unterscheidung zwischen Fehler und Irrtum ist vielen dabei nicht bewusst. In unserem Artikel „FEHLERKULTUR – ALLES NUR EIN IRRTUM? Oder: Wie wir lernen!“ sind wir bereits auf den Unterschied zwischen Fehler und Irrtum eingegangen. „Ein Fehler ist, etwas zu tun, von dem im Vorfeld bereits klar war, dass es nicht funktionieren wird, von dem man bereits weiß, dass es falsch ist und es trotzdem tut. Durch einen Fehler richtet man wissentlich Schaden an, produziert unnötige Kosten, verärgert Kunden, Kollegen, schadet dem eigenen Ruf und im schlimmsten Fall der Reputation des Unternehmens. Irrtümer sind einer der wichtigsten Faktoren für die Weiterentwicklung in Wissenschaft und Technik, ja überhaupt für die menschliche Evolution. Nachdenken, eine Möglichkeit sehen, sich diese Chance genau vorstellen, es ausprobieren, feststellen, dass es so nicht funktioniert, analysieren, verbessern, wieder ausprobieren. Das ist Weiterentwicklung!“
In der Praxis benutzen wir den Begriff Fehler für alles, was nicht gut gelaufen ist. Das führt dazu, dass der Mut zum ausprobieren, der Mut neue Wege zu gehen, oft fehlt. Mitarbeiter betrachten Situationen und Optionen nicht mehr aus verschiedenen Perspektiven, aus Angst einen Fehler zu machen, aus Angst vor Konsequenzen. Für mutwillig schadendes Verhalten ist das sicherlich angemessen. Für Irrtümer, die in bester Absicht entstanden sind, nicht. Irrtümer sind einer der wichtigsten Faktoren für die menschliche Evolution!
Dass man diese Fehler, die aus Irrtümern entstanden sind, durchaus positiv bewerten kann, wird meist unbewusst oder auch bewusst übersehen. Dabei zeigen uns Irrtümer auch auf, dass noch etwas fehlt, etwas noch nicht klar oder gut ist. Denn jeder Irrtum birgt die Chance auf Weiterentwicklung und damit Fortschritt. Und Fortschritt führt in der Regel zu Erfolg.
Natürlich fällt es nicht immer leicht, einen Irrtums-Fehler als Weiterentwicklungsmöglichkeit zu sehen. Es kommt auch immer auf die Folgen eines solchen an. Resultieren beispielsweise für ein Unternehmen aus einem Fehler teure Konsequenzen, dann geht der positive Fokus schnell verloren.
„Wo gehobelt wird, fallen Späne und wo gearbeitet wird, passieren Fehler.“ Dieses Sprichwort kennt sicherlich jeder. Nochmal: Problematisch sind die Fehler, die mutwillig und trotz besseren Wissens entstehen. Alle anderen Irrtums-Fehler sind ein Bestandteil des Lernens, der Weiterentwicklung. Um diese als Chancen zu nutzen, gilt es, eine entsprechende Fehlerkultur zu etablieren. Das gilt nicht nur für Unternehmen und Organisationen, sondern auch für andere soziale Gruppen wie beispielsweise in einer Sport-Mannschaft, einem Verein oder in der Familie.
Wie kann es in der Praxis gelingen eine positive Lernkultur zu entwickeln?
Es gibt eine Reihe von Spielregeln und Rahmenbedingungen, die Unternehmen und insbesondere die Führungsebene schaffen kann, damit sich eine positive Lernkultur entwickelt.
Jeder darf sich irren
Die Führungskräfte müssen dieses Zugeständnis deutlich plakatieren. Sonst werden Fehler schnell unter den Teppich gekehrt, nach dem Motto: „Wird schon keiner merken“. So kann aber nicht erkannt werden, was nicht gut läuft, Verbesserungen können nicht vorgenommen werden und weitere Fehler sind vorprogrammiert. Das kann sich schnell hochschaukeln und schmerzhafte und teuren Folgen mit sich bringen.
Fehlerzugeständnis fördern
Auch wenn es nicht immer leichtfällt, so sollte man zu seinen Fehlern stehen, sie eingestehen. Hier ist Führungskraft gefordert. Es gilt, eine offene Kommunikation zu fördern. Auch Fehlereingeständnisse sollten mit Respekt honoriert werden. Nur dadurch wird eine positive Fehlerkultur gefördert.
Vorbild sein
Auch Führungskräfte sollten kommunizieren, dass ihnen Fehler passieren. Dabei geht es nicht um die Notwendigkeit „Fuck-up Nights“ in Unternehmen einzuführen und die Führungsebene zur Nabelschau zu zwingen. Aber niemand ist fehlerfrei. Daher sollten Führungskräfte authentisch mit eigenen Fehlern und dem daraus resultierenden Lern- und Entwicklungspotenzial transparent umgehen.
Gemeinsam nach Lösungen suchen
Ist ein Fehler passiert, sollte der Schuldige nicht an den Pranger gestellt werden, denn in einer Lernkultur geht es nicht um Schuldzuweisung. Vielmehr sind gemeinsam die Ursachen für den Fehler zu suchen, damit dieser in Zukunft nicht wieder passiert. Und das ist schon ein wesentlicher Fortschritt. Also: Fehler passiert, um Schadensbegrenzung bemühen, Ursachen und Lösungen suchen, dadurch zukünftig vermeiden.
Feedback geben
Ist der Fehler passiert und dem „Schuldigen“ ist dieser nicht bewusst, soll die Führungskraft sachlich darauf hinweisen. Auch Feedback geben. Denn faires und sachliches Feedback ist eine gute Basis für die Weiterentwicklung. „Schärfere“ Kritik ist dann angebracht, wenn es sich um mutwillige Wiederholungsfehler handelt.
Fazit
Unerlässlich für die Entwicklung einer Lernkultur ist allerdings die Einigkeit der Führungsebene für diesen Umgang mit Fehlern. Es geht um eine gemeinsame konstruktive und offene Haltung gegenüber Fehlern. Es braucht ein authentisches (vor-)leben der konstruktiven und offenen Lernkultur und einen langen Atem. Das kostet manchmal auch Kraft, Energie und starke Nerven. Mittel- und langfristig zahlt sich diese neue Haltung und die Lernkultur aus. Weniger Angst (damit verbunden eine sinkende Kranken- und Fluktuationsquote), mehr Motivation und Spaß bei der Arbeit und vor allem mehr Mut für Neues und Innovation sind nur einige positive Ergebnisse, die der Zukunftsfähigkeit des Unternehmens zuträglich sind.