In den letzten zwei Jahren, seitdem viele Führungskräfte neue Erfahrungen mit Mitarbeiter*innen im Home-Office machen, habe ich häufig Sätze gehört wie „Ich weiß nicht, was mein Mitarbeiter macht…, das gibt mir ein schlechtes Gefühl!“ oder „wenn ich meine Mitarbeiterin anrufe, geht sie nicht ans Telefon und ruft erst eine Stunde später zurück. War sie überhaupt am Schreibtisch?“ oder in der Extremform: „zu Hause arbeiten meine Mitarbeiter eh nicht!“. Ja, es haben sich in der Tat noch längst nicht alle Führungskräfte damit arrangiert, dass ihre Mitarbeiter*innen im Home Office und nicht im Gruppen-Büro sitzen, wo man ihnen über die Schulter gucken kann.
Warum fällt es vielen Führungskräften so schwer, ihren Mitarbeiter*innen zu vertrauen, dass sie im Home-Office genauso gute Leistungen erbringen, wie im Büro?
Ein altes deutsches Sprichwort sagt: „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser“ und dieses Sprichwort hat sich bei vielen Führungskräften als Glaubenssatz tief in das Unterbewusstsein integriert. Der Haken an der Geschichte ist, dass wir häufig die falschen Dinge kontrollieren. Wir kommen aus einer Zeit der Stechuhren und sind es gewohnt, die Arbeitszeiten zu kontrollieren. Wer ist morgens als erstes im Büro und wer geht als letztes? Das waren in der „alten Zeit“ häufig Aspekte, die unterschwellig in die Mitarbeiterbewertung mit eingeflossen sind, weil physische Anwesenheit häufig mit echtem Einsatz und Leistung verwechselt wurde. Nun sitzen die Mitarbeiter*innen im HomeOffice und es wird immer noch versucht, die Arbeits- oder besser gesagt die Anwesenheitszeit zu messen bzw. zu kontrollieren. Das fällt natürlich deutlich schwerer, da man seine Mitarbeiter*innen nicht den ganzen Tag physisch am Schreibtisch sitzen sieht
In vielen Gesprächen und Führungskräfte-Coachings in den letzten Monaten habe ich erlebt, dass Führungskräfte dann anfangen, Narrative über ihre Mitarbeiter*innen zu entwickeln, die häufig nicht so positiv ausfallen und geprägt sind von Zweifeln, Skepsis und Misstrauen. Dieses Misstrauen merken dann auch die Mitarbeiter*innen und über die Monate vergiftet dieses Misstrauen die Beziehung zwischen Führungskraft und Mitarbeiter*in und am Ende auch innerhalb des Teams. Das führt zu Frust. Bei allen Beteiligten. Zu Recht.
Verstehen sie mich nicht falsch. Sicherlich gibt es – wie immer und überall – auch Mitarbeiter*innen, die Situationen ausnutzen und alle Freiräume zur Freizeitoptimierung missbrauchen. Aber die gab es auch schon zu Zeiten, als noch alle klassisch im Büro saßen
Wie kommt man nun also aus der negativen Spirale des Misstrauens wieder heraus?
Indem wir den Fokus der Kontrolle weg von der vermeintlichen Anwesenheit hin zu Arbeitsergebnissen lenken. „Zielvereinbarung“ ist hier das Zauberwort. Damit meine ich nicht die häufig halbherzig zelebrierte Zielvereinbarung mit ohnehin nicht erreichbaren Zielen im Rahmen der Jahresmitarbeitergespräche, sondern die konkrete Planung und Vereinbarung von Arbeitsergebnissen auf Tages- oder Wochenbasis. Wenn alle Beteiligten ein richtig gutes gemeinsames Verständnis darüber haben, was diese Woche wichtig ist und wer was bis Ende der Woche wie fertig gemacht haben muss, dann bekommt das, was der oder die Einzelne tut, plötzlich einen Sinn. Dann ist es auch nicht primär wichtig, zu welcher Uhrzeit oder an welchem Ort der oder die Mitarbeiter*in die Aufgaben bearbeitet, die zu diesem gemeinsamen Ergebnis führen sollen, denn das richtige Ergebnis, in der richtigen Qualität zum vereinbarten Zeitpunkt zählt dann viel mehr. Als Führungskraft kontrolliere ich dann also, ob die vereinbarten Arbeitsergebnisse zum vereinbarten Zeitpunkt in der vereinbarten Art und Weise erreicht wurden. Das ist etwas völlig anderes, als wenn ich kontrollieren muss, ob alle Mitarbeiter*innen von 8.00 bis 17.00 Uhr in Teams online waren und am Ende der Woche vielleicht trotzdem noch viele Aufgaben unerledigt sind.
Klingt plausibel. Fordert aber von den Führungskräften echte Führungsqualitäten. Denn ich muss zuerst die übergeordneten Ziele und Strategien in kleinere Häppchen herunterbrechen und dann eine konkrete Erwartung formulieren. Mir nur zu denken, was jede*r einzelne*r Mitarbeiter*in tun soll, reicht alleine nicht aus. Das musste ich selbst schon einige Male bitterlich lernen. Stattdessen muss ich mir die Mühe machen und mich auf die Gespräche vorbereiten, mir meine Erwartungen genau überlegen und diese dann präzise formulieren. Das gute alte SMART-Prinzip kann hier immer wieder als Prüfkatalog dienen, ob ich alles sauber formuliert habe.
Daraufhin muss ich als Führungskraft mit meinen Mitarbeiter*innen sprechen und ihnen die Aufgabenpakete so übertragen, dass ich sicherstellen kann, dass alle verstanden haben, was das Ziel ist und welchen Anteil sie selbst an der Zielerreichung haben. Es ist meine Verantwortung als Führungskraft, das sicherzustellen. Wenn Mitarbeiter*innen etwas nicht verstehen, dann muss ich mir zunächst an meine eigene Nase packen und mich fragen, ob ich alles gut genug erklärt habe oder ob ich in Zukunft einen anderen Weg des Erklärens wählen sollte
Und zu guter Letzt ist es natürlich meine wesentliche Führungsaufgabe, meine Mitarbeiter*innen dabei zu unterstützen, dass sie bestmögliche Leistung erbringen können. Haben Sie alle Rechte, z.B. Zugriffsberechtigungen, Daten und Informationen, die sie für die Aufgabenerledigung brauchen? Haben Sie alle Kompetenzen und Fähigkeiten oder darf ich sie hier in ihrer Entwicklung ganz konkret unterstützen? Bin ich bei Fragen und für einen Schulterblick ansprechbar? Alle Aspekte von transformationaler Führung greifen hier entsprechend.
Ich habe also als Führungskraft nun klare Ziele und Erwartungen formuliert, dafür gesorgt, dass meine Mitarbeiter*innen diese auch verstanden haben, unterstütze sie in ihrer Entwicklung, stehe für Fragen zur Verfügung und kontrolliere dann am Ende die Arbeitsergebnisse. Klingt in der Theorie gut. Aber da war ja noch was. Mein Misstrauen. Nämlich meine Überzeugung, dass das eh nicht funktioniert, oder wenn, dann nur bei anderen, aber nicht mit meinen eigenen Mitarbeiter*innen.
Hier darf ich intensiv an mir selbst arbeiten (zum Beispiel mit Hilfe eines Coaches) und mein Menschenbild überdenken. Denn ein anderes Sprichwort besagt ja „Man erntet, was man säht.“ und wenn ich Misstrauen sähe, ernte ich wahrscheinlich Enttäuschung. Wenn ich aber nur die kleine Vorsilbe tausche und aus dem Miss-Trauen ein Zu-Trauen mache, dann öffne ich mich und die Situation für die Möglichkeit, dass es gelingen kann. Vielleicht nicht unmittelbar sofort in der ersten Woche. Aber mit ein bisschen Übung. Übung für mich als Führungskraft in der Zielsetzung und transformationalen Führung und Übung bei meinen Mitarbeiter*innen im selbstverantwortlichen Arbeiten aus dem Home-Office.