In unserer Beratungspraxis erleben wir in fast jedem größeren Veränderungsprojekt den Moment, wo es aufgrund von komplexen Strukturen für die verantwortliche Führungskraft einen guten Überblick und Klarheit braucht, um der Führungsrolle gerecht zu werden. In der Praxis sind insbesondere in agilen Strukturen und in Veränderungsprozessen die Rollen der handelnden Akteure nicht immer ganz klar definiert. Vision und Ziele der Veränderung sind nicht immer allen Beteiligten klar und das Commitment der Mitarbeiter zum Veränderungsziel durchaus unterschiedlich. Keine leichte Aufgabe für Führung, insbesondere wenn sich disziplinarische und fachliche Führungsaufgaben auch noch aufteilen und es multikomplexe Führungsstrukturen gibt. Die Methode der System- und Strukturaufstellung, oft auch Organisationsaufstellung genannt, kann der verantwortlichen Führungskraft hier wunderbar und in kürzester Zeit helfen, eine neue Sicht auf die Situation, einen klaren Überblick und Klarheit über die nächsten Schritte zu gewinnen.
Aufstellen – Was ist das?
Das „Aufstellen“ von Organisationen, Teams oder auch Projekten – zählt heute zu den bewährtesten und modernsten Methoden, um Dynamiken, Stärken und Schwachpunkte in derartigen Strukturen aufzudecken – und Lösungen zu finden.
Die Methode erlaubt es, auch viele soziale Strukturen wie etwa Arbeitsteams, Projekte, Veränderungsprozesse, ja ganze Organisationen, aber auch innerpsychische Strukturen, Konflikte, Problemfelder etc. „aufzustellen“. Heute sind ca. 80 Formen von Strukturaufstellungen dokumentiert und publiziert. Diese Aufstellungsarten sind durch eine gemeinsame Grammatik und Methodik verbunden, welche durch die in der Systemischen Coaching gebräuchlichen Überbegriffen Systemaufstellungen und Strukturaufstellungen zusammengefasst werden.
In solchen Systemaufstellungen können wirkungsvoll merkbare oder nur latent wahrnehmbare Konflikte „greifbarer werden“, komplexe Beziehungsnetze und Verstrickungen besser wahrgenommen, und anstehende Entscheidungen (z.B. in Bezug auf die aktuelle Situation, die Organisation) erleichtert werden. Das „Aufstellen“ eines Systems zeigt die Dynamik, die in ihm wirkt. Unbewusst Wahrgenommenes über Beziehungszusammenhänge, das „innere Bild“ über diese, wird ausdrückbar und darstellbar, so dass es der „objektiven“ Wahrheit zumindest sehr nahekommt. Oftmals ist es geradezu verblüffend, wie nahe die herausgearbeiteten strukturellen Konstellationen bei Aufstellungen der realen Situation kommen. Das erleichtert es der Führungskraft enorm, die eigenen Handlungsfähigkeit zu stärken.
Methodenbeschreibung
Aufstellungsleiter
Der Aufstellungsleiter klärt mit der Führungskraft den konkreten Auftrag (Thema) der Aufstellung, meist in einem Vorgespräch unter vier Augen. Er moderiert und erklärt den Aufstellungsprozess. Im Verlauf der Aufstellung entwickelt er durch verschieben der aufgestellten Personen das Lösungsbild und nimmt die Führungskraft mit ins Bild. Er löst sich darstellende Blockaden im System durch „Neuordnung“ der Repräsentanten und sogenannte „Rituale“ auf. Ein guter Aufstellungsleiter erklärt, wofür er etwas macht und arbeitet transparent, so dass die Teilnehmer weitestgehend die sichtbaren Vorgänge im Aufstellungsprozess verstehen.
„Aufsteller“
Der Klient –“Aufsteller“- konstruiert sein Bild des aktuellen problematischen Zustandes in dem er Teilnehmer / Gegenstände als Stellvertreter/ Repräsentanten auswählt, die die Standorte der für sein Thema oder die gewählte Frage relevanten Schlüsselfunktionen einnehmen. Dabei können die repräsentierenden Gegenstände beliebig sein: Zettel, Stühle, Klötzchen etc. Ein Teilnehmer/Gegenstand also stellt z.B. den Chef dar, ein anderer einen Kollegen, eine Teilnehmerin das Veränderungsvorhaben usw. Auch für sich selbst stellt der Aufsteller einen Vertreter in die so entstehende Anordnung von Personen. Schließlich beschreibt der jeweilige Stellvertreter, wie er sich fühlt: beklemmt, akzeptiert, angenommen oder abgelehnt.
Die Führungskraft aber, um die es ja eigentlich geht, sitzt als Zuschauer wie in einer Theateraufführung und erfährt all dies aus der Nähe, doch auch in der Distanz der Verfremdung – moderiert durch den Aufstellungsleiter. Am Ende des Prozesses wird in der Regel der „Aufsteller“ persönlich, anstelle seines Stellvertreters mit in die Aufstellung hineingenommen.
Was „wirkt“
Mittels Systemaufstellungen, „Laborsituationen“, ist es erheblich leichter, Störungen und deren Auswirkungen an sich, aber auch auf andere Personen im „System“ zu erkennen. Indirekt helfen alle Darsteller mit, Lösungsoptionen zu entwickeln, damit die Führungskraft ein neues Verhältnis zu ihren Bezugspersonen aufbauen kann. In der Aufstellung wird nicht nur intuitiv erfasst, worum es geht, sondern auch abstrakte Probleme werden gewissermaßen „materialisiert“, sicht- und fassbar. Durch Umstellen der Beteiligten, durch die Hereinnahme ausgeschlossener und durch die Würdigung nichtgeachteter oder übergangener Personen oder Kräfte, kann eine neue Ordnung geschaffen und so Lösung möglich werden. Unbewusst Übernommenes wird deutlich und es gelingt leichter, einen adäquaten Platz im System einzunehmen. Wurden alte, festgefahrene und blockierende Muster erst einmal erkannt, gelingt es wesentlich leichter, sie auflösen zu können. Eine Chance zum Neuanfang entsteht.
Beziehungen der Elemente werden einerseits durch die Stellung im Aufstellungsfeld und die damit verbundenen Körperempfindungen/Gefühle dargestellt. Diese repräsentierende Wahrnehmung ohne Wertung wird durch Umstellen der Elemente genutzt, um ein Lösungsbild zu konstruieren, bei dem sich alle beteiligten Elemente neutral, besser oder gut fühlen.
Professionell durchgeführte und moderierte Systemaufstellungen sind also kein „Hokuspokus“, sondern Biografie-Arbeit – transparent gewordene Strukturen. Ziel ist unter anderem, die zwischenmenschliche Ordnung (Beziehungsstrukturen und Kommunikationsmuster) oder Strukturen in Organisationen, hinsichtlich der eingebundenen Personen wiederherzustellen. Getrenntes soll zusammengeführt werden, aber auch jeder Mensch einen Platz erhalten – eine Aufgabe im Beruf oder eine befriedigende Position in der Organisation.
Transfersicherung nach der Systemaufstellung
Nach einer Aufstellung – ob Personen aktiv als Aufstellende(r) oder Repräsentanten dabei mitwirkten oder nur zusahen – werden neue Erkenntnisse über betriebliche Zusammenhänge gewonnen sein und verschiedene Bilder werden noch einige Zeit lang die Führungskraft begleiten, manche davon vielleicht sogar unvergesslich bleiben. Wie das Unbewusste (Seele) damit umgeht, was es daraus macht, wird sich in der nächsten Zeit zeigen.
„Gedanken sind schnell. Die Seele bewegt sich langsam.“ (H. Stark)
Es ist wichtig, dass die neuen Bilder den richtigen Platz finden dürfen. Was in Aufstellungen häufig unmittelbar spürbar wird, ist, wie die Führungskraft auf einer tieferen Ebene mit den Menschen, die sie umgeben und umgaben, verbunden ist. Sie können mit einem Male besser deren Befindlichkeiten, deren historische Bürden und „Schicksalsfäden“ spüren. Und so manches, was vorher als Last und „monolithischer Block“ auf den Schultern empfunden wurde, zeigt sich plötzlich in seiner gewachsenen, geschichtlichen Bedeutung, wodurch sich häufig neue Lösungsperspektiven abzeichnen. Dennoch: auch diese benötigen Zeit. Es ist wichtig, die Führungskraft nun nicht überfordern zu wollen. Die Führungskraft braucht auch die Zeit, die Fülle der Gedanken und Eindrücke erstmal „setzen“ zu lassen, bevor sie beginnen kann zu handeln und umzusetzen. Um tief Verwurzeltes zu verändern braucht es lange Zeit, analog kann auch noch so angestrengtes Grübeln, Nachdenken unser persönliches Wachstum kaum beschleunigen. Vertrauen Sie darauf, dass das Unbewusste sich die Zeit nimmt, die sie benötigt – und vermutlich auch jenen Weg zur Lösung einschlägt, der für die Führungskraft am besten passt. Was eventuell am Aufstellungstag gesagt und ausgesprochen wurde, das sind erfahrungsgemäß meist nur einige von mehreren Lösungsmöglichkeiten: die Reale wird erst danach, im „wirklichen Leben“ entwickelt. Besonders effektiv ist die Nachbearbeitung mit Hilfe eines Coaches. Wobei in Interaktion zwischen Führungskraft und Coaches die Lösungsansätze reflektiert und das „Wunder“ mit dem ursprünglichen Ziel nochmals abgeglichen wird und der Weg zur Erreichung des Zieles geplant und zur Umsetzung konkretisiert werden wird.