Weshalb investieren Unternehmen jährlich in Weiterbildungsmaßnahmen ihrer Mitarbeiter? Und vor allem mit welchem Nutzen? Wie kann es tatsächlich gelingen, das Neuerlernte in den Arbeitsalltag zu integrieren? Was kann das Unternehmen aktiv dafür tun?
„Das beständigste am Leben ist der Wandel“. Das erkannte bereits Charles Darwin.
Das Streben nach Komfort und Sicherheit, das Abenteuer des Neuen liegen in unserer menschlichen Natur begründet und sorgen seit jeher für eine stetige Weiterentwicklung der Menschheit und ihrer Umgebung. Und was für das Leben gilt, gilt gleichermaßen auch für Unternehmen. Neue Marktanforderungen, wandelnde Kundenwünsche, Wettbewerb, Führungswechsel, neue strategische Ausrichtungen sind nur ein bescheidener Auszug der Gründe für die Notwendigkeit einer raschen Anpassung. Diese permanenten Veränderungen bewirken zwangsläufig, dass sich auch die Menschen in Unternehmen in einem dauerhaften Wandlungsprozess befinden. Sie bedürfen immer neuer Lernprozesse der Unternehmen, mit einem permanenten Weiterbildungserfordernis der Mitarbeiter. So sind die steigenden Weiterbildungsinvestitionen leicht erklärbar. Das Ziel dieser Investitionen ist die Verbesserung der Unternehmensperformance. Denn die angesprochenen Herausforderungen zu meistern und die Konkurrenzfähigkeit aufrecht zu erhalten oder gar zu verbessern, erfordert in erster Linie motivierte und fähige Mitarbeiter. Wie kann aber der Weiterbildungsspagat zwischen dem „Gießkannenprinzip“ und echter individueller Weiterentwicklung gelingen?
Die Grundvoraussetzung der Veränderung ist, neben der naturgegebenen Neugier, das Lernen und der Lerntransfer. Denn nicht nur das Wissen, sondern vor allem seine Umsetzung sichert das Fortschreiten des Wandels. Wie kann diese Umsetzung gewährleistet werden? Die Antwort ist denkbar einfach. Eben durch Lerntransfer.
Was bedeutet das genau?
Der Lerntransfer bezeichnet die Fähigkeit, Gelerntes, also Wissen oder andere Kompetenzen, auf eine andere, vergleichbare Situation zu übertragen. Das durch Lernen erworbene Wissen kann auf ähnliche Phänomene angewendet werden, indem es verallgemeinert oder abstrahiert wird. (Quelle Wikipedia)
Und wir alle lernen, jeden Tag. Denn Lernen ist eine der Grundvoraussetzungen, um uns in die Gegebenheiten des Lebens und des Umfelds einzufügen. Wir sind in der Lage sinnvoller zu agieren und unsere Umwelt gegebenenfalls sogar in unserem Sinne zu verändern. Die größte Herausforderung ist hierbei die Umsetzung. Also der berühmte Weg vom „Know-how“ zum „Do-how“. Wird der Lerntransfer damit zum Mythos?
Viele Mitarbeiter kehren motiviert und gut weitergebildet an den Arbeitsplatz zurück und häufig verändert sich dennoch nichts. Das Wissen ist oftmals in der Theorie perfektioniert und wird dennoch nicht umgesetzt. Für die Unternehmen ein Dilemma. Im Umkehrschluss lockt das Weiterbildungsangebot mit vermeintlich neuen Techniken, Theorien und Modellen. Neue spannende Namen, noch nie dagewesene Impulse und Zertifizierungen versprechen das, was bisher noch nicht gelungen ist: eine rasche Veränderung. Und der Weiterbildungsmarkt boomt. Denn Teilnehmer solcher Maßnahmen lechzen nach Lösungen mit garantierter Sofortwirkung. Unternehmen hoffen auf die eine Lösung, die doch den richtigen Hebel bei ihren Mitarbeitern in Bewegung setzt.
Sie reagieren enttäuscht, wenn sie feststellen, dass sich hinter den Versprechen doch das neuaufbereitete Altbekannte befindet. Und auch bei neuen Ansätzen ist die Erfolgsquote der praktischen Umsetzung nur sehr gering. Denn die Lösung ist eben nicht die Neuerfindung des Rads, sondern vielmehr eine faktisch funktionierende Brücke zwischen Wissen und Können.
Wieso scheitern wir so oft an der Umsetzung im Alltag?
Dies liegt mitnichten an der Unfähigkeit oder gar dem Unwillen der Mitarbeiter, sondern schlicht an unseren neurobiologischen Möglichkeiten. Untersuchungen beweisen sogar, dass die Motivation Neues zu erlernen mit der Dauer eines Seminares stetig abnimmt. Ist sie zu Beginn noch sehr hoch und der Teilnehmer gespannt das Neue zu erfahren und umzusetzen, nimmt sie mit jeder Stunde rapide ab. Und der schwierigste Schritt ist der vom Seminarraum in den Unternehmensalltag.
Der amerikanische Psychologe Georg Miller entwickelte 1956 die Annahme, dass unser Bewusstsein sehr begrenzt ist und nur maximal 7 Chunks (Informationsstücke) zum gleichen Zeitpunkt verarbeiten kann. Diese Informationsstücke haben keine bestimmte Größe. Sie können alles beinhalten, vom Autofahren (als komplexe Tätigkeit) bis hin zur gestückelten Telefonnummer. Beim Lernen nehmen wir demnach bewusst nur eine bestimmte Menge Informationen auf, alle anderen tilgen wir. Und so meistern wir zunächst einmal auch nur kleine Verhaltensstücke, um sie dann zu immer größeren Einheiten zusammenfassen. Auf diese Weise werden sie zur Gewohnheit und wir frei für Neues.
Ja wir Menschen lieben Routine, gibt sie uns doch Sicherheit und Entspannung. Und auch unser Gehirn arbeitet in der Routine effizienter und energiesparender. So ist es wenig verwunderlich, dass wir gern am bequemen Altbewährten festhalten und die Veränderung vielen nur mühsam gelingt. Hinzu kommt die Tatsache, dass Seminare noch immer als Gruppengeschäft organisiert werden. Hierbei fehlt es oft an konkreter Zielsetzung und Absprachen mit dem Unternehmen und seinen Zielen und Wünschen. Fehlen dann noch die notwendigen Strukturen sowie eine aktive Unterstützung im Unternehmen sind die optimalen Transferbarrieren geschaffen.
Beachten wir seine Einflussfaktoren, ist der Lerntransfer aber nicht nur möglich, sondern kann proaktiv mitgestaltet werden. Neben einer angemessenen Lernumgebung und der gezielten Auswahl der Lerninhalte, beeinflusst insbesondere die Haltung des Referenten und die durch ihn gestaltete Lernatmosphäre wiederum die Haltung der Teilnehmer. Eben positiv wie auch destruktiv. Auch eine realistische Erwartungshaltung sowie die Unterstützung seitens Vorgesetzter wirken sich begünstigend aus. Und auf das Unternehmen und seine Mitarbeiter abgestimmte Inhalte sowie die hohe Übereinstimmung von Lern- und Anwendungsfeld vermeiden zudem Vorbehalte und steigern die Neugier der Teilnehmer. Das Unternehmen selbst kann zudem neben inhaltlichen Strukturen vor allem realistische Zeiträume für die Veränderung einplanen. Denn Veränderung funktioniert nicht auf Knopfdruck. Der letzte entscheidende Faktor ist die Auswahl der entsprechenden Methoden zur Sicherstellung des Transfers. Und diese sind zahlreich und können bereits in die Maßnahmen integriert werden, wie zum Beispiel die individuelle Erarbeitung von Lernzielen und konkreten Umsetzungsstrategien. Klingt es noch aufwändig, sei hier schon mal gesagt, dass die individuelle Arbeit ganz sicher einer der Garanten für die erfolgreiche Transfersicherstellung ist.
Zudem können auch Transfergespräche mit Vorgesetzten organisiert werden. In der Zeit vor und nach der Maßnahme wird der Mitarbeiter von seinem Vorgesetzen unterstützt und erhält die Möglichkeit Fragen oder Bedarfe zu adressieren und ein Feedback zu erhalten.
Eine weitere Option bieten zudem Fresh-Up Seminare und Review Treffen, in welchen die gelernten Inhalte nochmals gezielt reflektiert, wiederholt, vertieft werden können. Wichtig ist bei allen die Einbeziehung von praktischen Fällen, um die Umsetzung anhand des eigenen Wirkungsfeldes überprüfen zu können. Zu den wohl bekanntesten Transfermethoden gehören Rollenspiele. Sollen sie im Seminar die Möglichkeit anbieten das Gelernte in einem geschützten Raum und unter Anleitung auszuprobieren und zu reflektieren, werden sie häufig mit dem Argument einer künstlichen Situation und Leistungsdrucks eher abgelehnt.
So ist sicher die effektivste und erfolgversprechendste Methode den Lerntransfer zu gewährleisten das individuelle oder das on the job Coaching. Warum? Weil es tatsächlich der einzige Weg ist, den jeweiligen Menschen/Mitarbeiter mit all seinen Fähigkeiten, (Vor-)Kenntnissen, seiner Motivation und in seinem eigenen Tempo zur Umsetzung zu begleiten. Eben seinen eigenen Weg vom Wissen ins Tun zu gehen.
Wer kein Klavier spielen kann, wird sich mitnichten bereit erklären, vor Publikum ein Musikstück zu spielen. Auch nicht, wenn er dieses sehr gut kennt und bereits oft gehört hat. Da hilft auch keine theoretische Erklärung oder Motivation. Im Gegenteil kann dies eher zur Steigerung des Leistungsdrucks und damit zur Blockade führen.
Wird er aber begleitet und übt zunächst einmal drei aufeinander folgende Tasten zu drücken und wiederholt diese Handlung mehrfach, erlernt er spielerisch und leicht eine neue Handlung, welche dann mit einer weitere Tastenkombination verbunden werden kann. Wichtig sind hierbei die Möglichkeit der Korrektur und Rückfragen. So ist jedoch nach einer geraumen Übungszeit auch ein Laie in der Lage ein Musikstück zu spielen. Und auch im Unternehmen kann der Coach die Gegebenheiten, Strukturen, persönlichen Voraussetzungen des Einzelnen miteinander verbinden und so den individuellsten Weg zur Umsetzung kreieren. Und nochmals ja, diese persönliche Förderung erfordert nicht nur zeitliches Investment. Und dennoch ist sie nicht nur die wirksamste, sondern vor allem nachhaltigste Methode einer garantierten Umsetzung.
Denn dass die Mitarbeiter selbst für die Umsetzung verantwortlich sind ist ein weit verbreitetes Missverständnis und Unternehmen können einiges tun. Das wohl Wichtigste ist dabei die Erkenntnis, dass Lernen ein natürlicher Prozess und Bedürfnis ist. Der erfolgreiche Lerntransfer vielmehr eine Frage der (Unternehmens-)Haltung.