Mitarbeiterbindung durch wirksame Führung

Victoria Beckers im Interview mit Ralf Tiedtke, geschäftsführender Gesellschafter der designfunktion Berlin GmbH und leidenschaftliche Führungskraft seit über 30 Jahren.

Lieber Ralf, lass uns direkt ins Thema springen! Was bedeutet Führung für Dich?

Ich will jetzt nicht sagen, dass ich ein Problem mit dem Begriff an sich habe, ich kann mich mit diesem Begriff schon anfreunden, aber ich finde, er verrät nicht das, um was es wirklich geht. Führung ist ein komplexes Thema und beinhaltet für mich verschiedene Aspekte. Ich glaube, du musst Dich als Führungskraft vor allem selbst führen können und Dir Deiner selbst bewusst sein. Empathie spielt eine große Rolle. Und ein weiteres ganz großes Thema ist das Vertrauen in die eigenen Mitarbeitenden. Du kannst nur anderen vertrauen, wenn man sich selbst auch vertraut.

Da sprichst Du direkt viele große Themen an. Selbstführung, Empathie, Vertrauen. Alles Aspekte, die vor allem auch mit der eigenen Persönlichkeit als Führungskraft zu tun haben, mit der inneren Haltung und dem eigenen Menschenbild. Kann man diese Aspekte aus Deiner Sicht entwickeln oder bringt man diese mit?

Natürlich kann man sich in Sachen Führung weiterentwickeln, gar keine Frage. Aber ich bin überzeugt, dass gewisse Eigenschaften schon in Dir angelegt sein müssen. Also das Talent. Ein Beispiel: Jeder kann Musik machen. Jeder kann irgendwie singen. Man kann viele, viele Stunden auf der Gitarre oder dem Klavier üben, aber damit die Musik wirklich rhythmisch, harmonisch und musikalisch wird, Gänsehaut hervorruft und den Hörer mitreißt, dafür braucht es auch Talent. Das gilt auch für Führung.

Für eine gute Führung braucht es aus meiner Sicht zwingend die Bereitschaft, sich selbst zu erkennen und zu spüren. Man muss Lust auf Führung haben und Freude an der Arbeit mit Menschen. Führung bedeutet für mich, nicht aus der Machtposition heraus zu agieren, sondern stark aus dem Wunsch, andere zu befähigen. Das finde ich bei designfunktion sehr schön, dass dieses Thema in unserer Vision enthalten ist. Empowerment, also Befähigen. Menschen zum Wachsen zu führen, aus sich heraus. Ihr nennt euch ja auch Energie durch Entwicklung.

Ja, Befähigung ist uns in der Tat auch bei Energie durch Entwicklung sehr wichtig. Als altes Montessori-Kind prägt mich der berühmte Satz „hilf mir, es selbst zu tun″ bis heute! Was ist Dir bei Führung noch wichtig?

Führung hat aus meiner Sicht die Aufgabe, den Menschen die Freude zu zeigen, zu begeistern, zu inspirieren. Und darüber hinaus, wenn Probleme entstehen und Menschen den Blick für die Lösung nicht mehr finden, sie zu unterstützen, diesen Blick wieder zu öffnen.

Manche nennen das Purpose. Ich finde es einfach wichtig, Menschen einen Nordstern zu geben, sie zu inspirieren, ihnen zu sagen „das ist es, wofür wir da sind!”. Das geht meiner Erfahrung nach nicht über Zahlen, damit kann ich nicht jeden begeistern. Ich bin selbst ein Zahlenmensch und liebe es auch zu wachsen, also auch zahlenmäßig zu wachsen, das gebe ich gerne zu. Ralf Tiedtke im Interview mit Energie durch EntwicklungWenn ich meinem Team sage „gut, dass wir 5 Millionen Euro Umsatz geschafft haben, aber wir können auch 10 Millionen schaffen.” Dann kommen Fragen wie „Muss das sein? Hat er nicht genug?” Wie gesagt, mit Zahlen allein kann man nicht jeden abholen, vielmehr kann man nur begeistern, indem man Menschen findet, die sagen „Ich habe Lust, besser zu werden, exzellenter zu werden, mich mit neuen Dingen auseinandersetzen.” Mutig sein, Neues ausprobieren und akzeptieren, dass wir auch mal scheitern können. All das gehört ein Stück weit dazu.

Da stimme ich Dir völlig zu. Du hast gerade schon das große Wort Vertrauen angesprochen. Was ist hier Deine Sichtweise?

Wir müssen als Führungskräfte akzeptieren, dass wir, selbst, wenn wir mit dem berühmten Vertrauensvorschuss arbeiten, nicht erwarten können, dass unsere Mitarbeiter*innen uns automatisch auch vertrauen. Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. Arbeit kann man kaufen. Aber Vertrauen ist ein Geschenk.

Wie meinst Du das?

Wenn ich von meinen Mitarbeiter*innen mehr will, wenn ich wirklich will, dass die und der Einzelne aus sich herauskommt und sich in das Unternehmen einbringt, dann geht es ja über die eigentliche Erledigung ihrer und seiner Arbeit hinaus. Kreativität, Ideen einbringen, über den berühmten Tellerrand schauen – das kann ich nicht kaufen. Ich kann meine Mitarbeiter*innen dafür nur begeistern. Und Rahmenbedingungen schaffen, dass die Leute sagen „Ich habe eine große Lust, das macht mir Freude. Und ich will mehr hineingeben, auch meine Ideen.” Vertrauen, Kreativität, Ideen usw. kann man nicht kaufen. Die werden einem geschenkt.

Wie hat sich für Dich Dein Blick auf das Thema Führung in den letzten Jahren verändert? Du wirst ja wahrscheinlich mit 20 noch eine andere Perspektive darauf gehabt haben als jetzt, oder?

Ja, das ist faszinierend. Ich habe sehr früh, schon mit 19 Jahren, erste Führungsverantwortung übernommen, direkt nach meiner ersten Ausbildung, parallel zum Studium. Ich habe in einem Produktionsbetrieb gearbeitet und hatte dann für einen bestimmten Produktionsbereich erste Verantwortung und damit auch eine erste personelle Verantwortung.

Mein Ansatz war immer, Verantwortung zu übernehmen. Das habe ich auch ein Stück weit von meinen Eltern gelernt, dass man Verantwortung übernehmen soll. Am Anfang habe ich natürlich gedacht, dass meine Mitarbeiter*innen genau so denken müssen wie ich und die Dinge genau so tun müssen wie ich. Aber irgendwie fehlte der Spaß bei der Arbeit. Ich fragte mich, warum die Mitarbeiter*innen nicht so engagiert sind wie ich. Das habe ich damals nicht so ganz verstanden, das gebe ich zu. Dann habe ich vielleicht schnell gesagt „die sind ein bisschen doof”. Aber das hat sich definitiv verändert, weil ich mich dann irgendwann sehr intensiv, wirklich auch inhaltlich, mit dem Thema Führung auseinandergesetzt, gelesen habe, mich viel unterhalten habe. Ich habe im Leben aber immer das Glück gehabt, dass ich auf starke Persönlichkeiten gestoßen bin, die mir geholfen haben, mich weiterzuentwickeln. Und an denen habe ich mich auch orientiert. Ich habe immer eine Orientierung zu Menschen gesucht, von denen ich was lernen kann, die mich begeistern, die mich inspirieren. So wie Du. Und ich wollte das immer – und das war mir schon damals bewusst – irgendwann auch etwas zurückzugeben. Also an Menschen, die Lust haben, von mir zu lernen oder mir zuzuhören oder mich auch zu fragen.

Du beschäftigst Dich ja auch viel mit Arbeitswelten. Nicht nur mit Deinem eigenen Team, sondern auch für Deine Kunden. Was ist denn Deine Beobachtung, wie sich die Anforderungen an Führung verändert haben?

Die Frage klingt so, als ob sich Führung erst jetzt verändern muss. Aber eigentlich ist der Anspruch immer ähnlich gewesen. Jetzt wird es einem nur bewusster, dass das, was vor 30/40 Jahren im Bereich Management gelehrt wurde, vielleicht nicht ganz richtig war. Und hier hat uns die Neurobiologie bewiesen, dass wir uns jederzeit weiterentwickeln können.

Nur viele Unternehmen haben dies erst jetzt erkannt, dass eine Mitarbeiterin oder ein Mitarbeiter, die oder der vielleicht fachlich gut ist, nicht unbedingt eine gute Führungskraft sein muss, dass das eine mit dem anderen nichts zu tun hat. Ich komme aus dem Sport. Und wenn man das mit Fußball vergleicht, da ist auch nicht jeder Top Trainer ein guter Fußballer gewesen. Es gibt Ausnahmen, gar keine Frage. Es geht in der Führung nicht immer nur um fachliche Themen, sondern es geht um den Zugang zu Menschen.

Wir haben jetzt fast philosophisch über Führung gesprochen. Lass uns das Ganze doch noch ein-mal ganz konkret runterbrechen auf gezielte Aktionen. Ich weiß ja, dass Du in Deinen Vorstellungsgesprächen Deine Mitarbeiter*innen jeweils sehr inspiriert und überzeugt hast. Ich habe viele Rückmeldungen aus Deinem Team bekommen, dass immer das Vorstellungsgespräch mit Dir der Auslöser war, warum sie ins Unternehmen gekommen sind. Und Führung beginnt ja in der Tat schon im Recruiting Prozess. Was ist denn Dein Geheimnis für gute Vorstellungsgespräche?

Na also, ich weiß nicht, ob es so ein großes Geheimnis ist. Was bei mir eher weniger passiert, sind die klassischen Standardfragen. Ich würde niemals die Fragen nach Stärken und Schwächen stellen. Ich habe mir stattdessen selbst die Frage gestellt, was ist wichtig? Ich frage die Menschen nach ihren Träumen. Ich frage sie nicht nach Zielen. Nein, das ist was anderes. Sondern nach ihren Träumen und natürlich auch nach ihren Erwartungen an mich, an das Unternehmen oder überhaupt an einen Arbeitgeber. Wohin wollen sie sich selbst weiterentwickeln, unabhängig, ob sie zu designfunktion kommen oder nicht? Und was bewegt sie? Es geht mir darum, den Menschen kennenzulernen. Nur so kann ich herausfinden, ob er auch in seinem kulturellen Mindset in unser Unternehmen passt. Das ist mir sehr, sehr wichtig. Es hilft mir nicht, vielleicht eine*n fachlich gute*n Mitarbeiter*in zu gewinnen, wenn sie oder er nicht ins Team passt.

Das sind tolle Fragen. Hast Du noch weitere konkrete Tipps für Gespräche mit Mitarbeiter*innen?

Ein paar Ideen habe ich, in der Tat. Zunächst einmal finde ich, dass man nicht belanglose Standardfragen stellen sollte. Mitarbeiter*innen spüren, ob ein echtes Interesse vorhanden ist. Nur das ist eine Basis für eine gute Beziehung. Daher muss ich mir als Führungskraft vor allem und zunächst die Frage stellen, ob ich wirklich daran interessiert bin, dass meine Mitarbeiter*innen ihr inneres Potenzial entdecken und voll entfalten. Geht es mir um Feedback, um Feedback in beide Richtungen? Feedback im Sinne von „Ich finde deine Entwicklung wunderbar”, aber auch zu sagen, wenn an der einen oder anderen Stelle Dinge noch nicht gut laufen. Und ich glaube, eine Klarheit und eine Ehrlichkeit, reinzubringen, das ist vielleicht das Geheimnis. Und das ist für mich Authentizität und Empathie.

Menschen spüren das. Versteh mich nicht falsch, ich bin nicht gegen Fragebögen und Check-Listen. Das ist für die Vorbereitung sicherlich gut und hilfreich, aber ohne die richtige innere Haltung fehlt einfach das Gefühl im Gespräch. Und Menschen spüren, ob du das Gespräch ernst nimmst, ihnen tatsächlich zuhörst und ein aufrichtiges Interesse an ihnen hast, oder doch nur ein Formular abspulst.

Ralf Tiedtke – geschäftsführender Gesellschafter der designfunktion Berlin GmbH.

Ralf Tiedtke verantwortet als geschäftsführender Gesellschafter die designfunktion Berlin GmbH und ist mit Leidenschaft Führungskraft. In seiner Führungsrolle ist es ihm wichtig, stets einen wertschätzenden Umgang zu pflegen, der Inspiration Raum zu geben und immer wieder mutig neue Wege zu gehen, auch, wenn diese anfangs unbequem sein können. Seine Neugierde gegenüber Menschen und sein Wille, die Unternehmensvision immer weiter-zuentwickeln und zu verfolgen, sind zwei wichtige Aspekte seines Verständnisses einer guten Führung.

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