Durch die Anforderung, schneller auf den Technologiewandel und die Bedürfnisse des Markts reagieren zu können, geht der Trend immer stärker zur agilen Transformation. Das stellt viele Unternehmen vor eine enorme Herausforderung. Einen standardisierten Umgang mit dieser Herausforderung gibt es nicht. Trotzdem sollten sich Unternehmen mit den Veränderungen befassen und diese als Chance sehen, ihr Unternehmen zukunftsfähig aufzubauen.
Mit 84% ist Scrum der meistgenutzte agile Ansatz, gefolgt von Kanban, DevOps, Lean-Management und Design-Thinking [SQA2020]. Seminare und Workshops zu diesen Methoden werden zahlreich angeboten und Unternehmen machen Gebrauch davon; sie schicken ihre Mitarbeiter dorthin. Leider erleben wir immer wieder hoch motivierte Teilnehmer, die voller Inspiration das Gelernte in ihren Unternehmen umsetzen wollen und schnell an ihre Grenzen stoßen. Denn das System “Unternehmen” lässt häufig gar nicht zu, dass die Methoden wie angedacht umgesetzt werden können. So kommt es vielfach nur zur Minimalnutzung des Gelernten. Häufig ist das der Einsatz der zahlreichen Rituale. So werden immer mehr Dailys, Review-Meetings und Retrospektiven irgendwie in den Unternehmen umgesetzt, die erwarteten Ergebnisse bleiben allerdings aus – Hauptsache man ist jetzt agil!
Vorhaben brauchen gewisse Strukturen, damit sie erfolgreich umgesetzt werden können. Die Standish-Group veröffentlicht in ihrem regelmäßig erscheinende Chaos-Report [CR2019] die Erfolgsquoten von Projekten. Im Hinblick auf die Erfüllung der Zielsetzung (Scope), des Budgets und der Einhaltung der Zeitvorgaben erreichen nur 26% aller klassischen Projekte diese Vorgaben, bei agilen sieht es mit 42% deutlich besser aus. Nach wie vor gibt es aber auch eine hohe Abbruchquote. Zu denen gehören auch Projekte, die zwar zu Ende gebracht wurden, aber in der Praxis nicht genutzt werden. Bei klassischer Umsetzung betrifft das jedes fünfte Projekt. Bei agiler Umsetzung ist es immerhin noch knapp jedes zehnte Vorhaben – was für eine Verschwendung!
Agile Vorhaben sind gekennzeichnet durch eindeutige Werte und Prinzipien, die insbesondere dafür gedacht sind, dass Teams selbst organisiert arbeiten können. Dieser Ansatz kollidiert aber häufig mit den hierarchischen Strukturen vieler Organisationen. In diesem Zusammenhang sollte eine Reihe von Fragen geklärt werden:
- Welche Wandelthemen beschäftigen uns und welche Vorhaben ergeben sich daraus?
- Wo machen agile Praktiken Sinn und wo nicht?
- Was bedeutet Selbstorganisation für unser Unternehmen und welche organisatorischen Rahmenbedingungen sind dafür notwendig?
- Wie gehen wir um mit verschiedenen Umsetzungsteams und hybriden Mischformen?
Umgang mit hybriden Organisationen
Da in der Realität die Mischformen am häufigsten vorkommen, stellt sich die Frage, wie das Zusammenspiel von verschiedenen Teams sichergestellt werden kann, die entweder über mehrere Vorhaben hinweg kooperieren müssen oder in enger Abstimmung zwischen Umsetzungsteam und Linienorganisation. Unterschiedliche Arbeitsweisen, Mentalitäten und Geschwindigkeiten müssen zusammengebracht werden. Wir empfehlen eine Synchronisation über die Strategie und deren Ziele, die mittelfristigen Teilziele und deren Koordination und die Umsetzung über die Teams. So ergeben sich drei Abstraktionsebenen:
1. Strategie und Portfoliomanagement
Auf der ersten Ebene der Strategie und des Portfoliomanagements geht es darum, zu definieren, was die richtigen Umsetzungsthemen sind.
- Was sind die Ziele, die uns als Organisation zusammenhalten und eine Richtung geben?
- Haben wir ein gemeinsames Verständnis, worum es geht und welchen Wert es uns liefert?
- Kann der Bedarf in sinnvolle Teilziele (Inkremente) zerlegt werden, um früh ersten Wert zu generieren?
- In welcher Reihenfolge wollen wir was angehen und mit welcher Vorgehensweise, klassisch oder agil, um den geschaffenen Wert für das Unternehmen zu maximieren?
2. Mittelfristige Perspektive und Koordination
Wenn klar ist, welche Vorhaben warum und in welcher Reihenfolge umgesetzt werden sollen, müssen wir das Verständnis über diese vertiefen, bewerten und die Umsetzung abstimmen. Strategische und umsetzende Ebene treffen hier zur gemeinsamen Ausrichtung zusammen.
- Auf einer groben Abstraktion müssen Maßnahmen definiert, priorisiert und den entsprechenden Teams zugeordnet werden.
- Wie kann die Umsetzung so strukturiert werden, dass die Einheiten möglichst autonom operieren können?
- Wie und wann werden aufgelöste Abhängigkeiten wieder zusammengeführt?
- Wie erfolgt generell die Integration der Arbeit aller Einheiten?
- Das Ergebnis kann zum Beispiel eine synchronisierte Release- oder Meilensteinplanung sein.
3. Umsetzung
Jede Einheit soll möglichst autonom – d. h. selbstorganisiert und unabhängig – von anderen arbeiten können. Das bedeutet, dass die operierende Einheit ihre Rollen und ihren Ablauf selbst bestimmt. Aber auch die Ausgestaltung der konkreten Problemlösung obliegt ihr. Die operierende Einheit ist selbstorganisiert – aber nicht losgelöst. Zusätzlich gibt es regelmäßige Synchronisationspunkte auf die hingearbeitet wird – immer unter Berücksichtigung der gemeinsamen Vision und der Ziele der Organisation.
Durch oberflächliche Einführungen von agilen Methoden in Unternehmen kann es zu viel Unzufriedenheit bei Mitarbeitern und Führungskräften kommen. Denken Sie immer daran, Ihre bestehende Expertise und bewährten Prozesse da zu erhalten, wo sie Sinn machen und gezielt agile Praktiken damit zu verknüpfen. Agile Methoden richtig umgesetzt bieten dann ein enormes Potential. Teams erhöhen den Grad ihrer Eigenorganisation und konzentrieren sich auf die Entwicklung wertvoller (Teil-) Produkte, die auf Unternehmensziele einzahlen.