Rollenklarheit – Die Gretchenfrage

In fast allen Organisationen, in die wir gerufen werden, stellt sich die Frage nach der Rollenklarheit. Dabei geht es weniger um die Funktion, also um den Stellentitel, den jemand innehat. Diskussionen um Titel erleben wir stark abnehmend im Vergleich zu den 90er und 2000er Jahren, als Titel eine große Bedeutung hatten und Macht und Status repräsentierten. Nicht nur die Generation Y hat dazu beigetragen, dass wir heute, besonders im Mittelstand, viel mehr über Rollen sprechen, über Inhalte, Sinn und Vernetzung – Rollenklarheit.

Rollen werden durch die Summe der Erwartungen geprägt, die an sie gestellt werden. Dabei geht es um explizite und implizite Erwartungen, bewusste und unbewusste. Erwartungen, die von außen an eine Rolle herangetragen werden, haben genau so ein Gewicht, wie die Erwartungen, die der Rolleninhaber selbst hat.

In unserer Praxis stellen wir zunehmend fest, dass Blockaden, Lähmungen oder gar Konflikte entstehen, weil diese Rollen eben nicht klar sind. Wir sprechen dann gerne von Hüten, die man aufhat. Vielen Mitarbeitern und vor allem Führungskräften ist nicht bewusst, welche Hüte sie aufhaben, welche von ihnen erwartet werden, welche vielleicht auch zu Unrecht genommen werden.

Dabei gilt es besonders für Führungskräfte Klarheit über die Rollen – die Hüte, die jemand trägt – zu gewinnen und genau zu wissen, in welchem Moment welcher Hut gefragt und angebracht ist. In der Arbeit mit unseren Kunden erleben wir häufig einen Moment der Überraschung, manchmal auch der Überforderung, wenn die Vielzahl und Varianz der Hüte bzw. Rollen deutlich wird. Durch die persönliche Auseinandersetzung mit den verschiedenen Rollen und den verknüpften Erwartungen im Einzelcoaching sowie die gemeinsame Auseinandersetzung mit den verschiedenen Rollenbildern im Team können dann Missverständnisse ausgeräumt und ein besseres gemeinsames Verständnis für Teamarbeit, Arbeitsprozesse und Zusammenarbeit gewonnen werden.

Besonderheit Familienunternehmen

In Familienunternehmen erleben wir oft eine erhöhte Komplexität bei der Rollenfrage. Hier vermischen sich schnell berufliche, professionelle Rollen mit privaten bzw. familiären Rollen. Das führt immer wieder zu Verschiebungen von Spannungen in Lebensbereiche, wo sie nicht hingehören. Ein privater Konflikt der Ehepartner über die Erziehung der Kinder wird so schnell in das Berufsleben übertragen. Das wirkt sich nicht nur auf die Zusammenarbeit der Eheleute in der Geschäftsführung, sondern auch auf die Stimmung im Team aus. Fehlende Rollenklarheit ist – neben anderen Herausforderungen – auch ein wesentlicher Grund, warum Unternehmernachfolgen scheitern.

Nutzen der Rollenklärung

Neben Ausräumen von Missverständnissen und Erzielen eines gemeinsamen Verständnisses bringt die Arbeit mit den Rollenprofilen aber auch noch andere Vorteile mit sich: Sinnstiftung und Vernetzung. Bereits Herzberg wusste in seiner berühmten Theorie über Motivatoren und Hygienefaktoren um die Wirkung von Inhalt und Sinnhaftigkeit der Arbeit als ein zentraler Motivator. Die veränderten Bedürfnisstrukturen, besonders jüngerer Generationen, betonen die Frage nach dem Sinn noch stärker. Wenn ich weiß, welche Rollen ich habe und welchen Nutzen ich durch die verschiedenen Rollen an verschiedenen Stellen stiften kann, steigert dies das Selbstwertgefühl ungemein. Dies wirkt sich auch positiv auf die Resilienz, Produktivität, Zufriedenheit und Motivation von Mitarbeitern aus.

Gemeinsam im Team über Rollen und die verbundenen Erwartungen zu sprechen, ein gemeinsames Verständnis zu entwickeln und andere Rollenprofile besser kennenzulernen, fördert nicht nur die Zusammenarbeit im Team. Auch das Maß der internen Vernetzung wird gesteigert. Besonders Organisationen, die sich Matrix-Strukturen, agilen Methoden und virtueller Zusammenarbeit bedienen, sind auf eine gute Vernetzung der Mitarbeiter untereinander angewiesen, denn reine Regel-Kommunikation ist oft zu träge, um den Anforderungen an Kommunikation in Punkto Geschwindigkeit und Flexibilität gerecht zu werden. Zu wissen, wen ich für was wann am besten anspreche, um Unterstützung bitte oder selbst unterstütze, ist heute ebenso zentrales Know-How wie Fachkompetenz selbst.

Relevanz für kleine Unternehmen

Die Erfahrung zeigt auch, dass selbst in kleinen Organisationen mit 10 oder 20 Mitarbeitern, die Rollen oft nicht ausreichend geklärt sind. Besonders kleine Teams erliegen oft dem Trugschluss, dass sie aufgrund der kleinen Größe und oft intern informellen Kommunikation ausreichend übereinander und über Abläufe, Prozesse und Projekte Bescheid wissen. Gegenseitige Erwartungen werden meist nicht explizit benannt oder geklärt. Die Missverständnisse und Enttäuschungen, die durch nicht erfüllte Rollenerwartungen entstehen, lähmen diese kleinen Organisationen, bremsen die Innovationsfähigkeit und Flexibilität und hindern am erfolgreichen Wachstum.

Rollenarbeit ist Grundsatzarbeit

Rollenarbeit ist also eine Grundsatzarbeit für Führungskräfte und Mitarbeiter in Organisationen, ganz gleich welcher Größe oder Struktur, die – sorgfältig und ehrlich gemacht – einen fruchtbaren Nährboden für gesunde und motivierte Mitarbeiter, exzellente Teams und erfolgreiche Organisationen bereitet. Eine überschaubare Investition aller Beteiligen, die sich nicht nur kurzfristig, sondern vor allem nachhaltig auszahlt.

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